Vor den Gletschern schmilzt das Vertrauen

Der UNO-Klimabeirat ist drauf und dran, seinen Ruf zu ruinieren und den der Wissenschaft gleich mit.

Der Winter ist hart, für uns und für den Uno-Klimabeirat IPCC. Dass er für uns hart ist, will auf längere Frist nichts besagen, anderswo ist es mild, und eine Saison gibt keinen Trend vor. Beim IPCC hat das – metaphorisch – abgekühlte Klima mehr zu bedeuten: Das angesehenste Forschergremium der Erde ist drauf und dran, in kürzerer Frist seinen Ruf zu ruinieren, und den der Wissenschaft gleich mit.

Das begann im Herbst, als bekannt wurde, dass in den letzten zehn Jahren die Temperaturen global nicht um ein hundertstel Grad gestiegen sind. Der Befund kam von der eigenen Zunft, Klimatologen, aber er kam bei Klimabesorgten im IPCC schlecht an: Erstens sei es nicht wahr, dass es nicht wärmer geworden sei, und zweitens sei es, wenn es doch wahr wäre, keine Überraschung, wenn die Erwärmung einmal Pause mache. Drittens seien auch zehn Jahre zu kurz für Schlussfolgerungen, für Klimatologen zählten erst Zeiträume ab 25 Jahren.

Gut, darüber kann man sich verständigen, auch Wissenschaft braucht Konventionen. Etwa die der Öffentlichkeit aller Daten. Die kam beim IPCC in ein düsteres Licht, als Hacker den E-Mail-Verkehr angriffen und publizierten („Climategate“). Aus den Mails konnte man lernen, dass sich auch IPCC-Forscher über die Nichterwärmung und andere Probleme im Klimahypothesengebäude Sorgen machten. Zur Lösung von einem – dem seltsamen Umstand, dass in den letzten fünfzig Jahren die Bäume im Norden trotz gemessener Erwärmung schlechter wuchsen – habe er einen „trick“ gefunden, schrieb ein britischer Forscher in einem der Mails. Man wurde stutzig, ließ sich aber beruhigen, das englische „trick“ meine nichts Böses, sondern schlicht und einfach eine elegante Lösung.


Aber in den Mails stand auch anderes, es weckte den Verdacht, missliebige Befunde hätten unterdrückt werden sollen, und Daten seien vernichtet worden. Man wurde stutziger, ließ sich aber wieder beruhigen, die Uno-Klimakonferenz stand bevor, offenbar zielte die Hackerattacke auf sie – und irgendjemand wird sie schon bezahlt haben, es gibt Interessen genug. Das IPCC hingegen besteht aus Forschern, und Forscher sind per definitionem nichts als der Neugier und der Wahrheit verpflichtet und legen alle subjektiven Befindlichkeiten ab, wenn sie den weißen Mantel überstreifen, das ist dessen Sinn, das ist der Kern der Naturwissenschaft.

Menschen bleiben sie doch, und Menschen machen Fehler, das zeigte sich vor zehn Tagen, als die „Sunday Times“ – gefüttert von wem auch immer – die nächste Runde einläutete. Diesmal griff man sich so an den Kopf, dass kein Beruhigungsmittel half, im Gegenteil, es machte alles ärger. Bekannt wurde zunächst ein dicker Hund im letzten „Sachstandsbericht“ des IPCC, das ist die Klimabibel, die den Stand des Wissens gibt und weitreichende ökonomische und politische Konsequenzen hat. Dort stand, auf einer von 3000 Seiten, bis 2035 seien die Gletscher des Himalaja weg.


Das war abgeschrieben – nicht erforscht, nicht von Kollegen begutachtet –, und es war falsch. So rasch schmelzen die Himalaja-Gletscher nicht, die größeren sind in den letzten Jahren eher stabil geblieben, das zeigten Messungen eines indischen Forschers. Aber dessen Arbeit wurde von Rajendra Pachauri, dem indischen Chef des IPCC, als „Voodoo-Wissenschaft“ beschimpft.

Mit Zeitverzögerung bedauerte das IPCC den Fehler doch. Aber dabei lernte man, dass er von einer Fehlkonstruktion der Organisation kam: Im IPCC arbeiten zwei Gruppen parallel an gleichen Themen, eine mit viel Sachverstand, eine mit weniger, ihr unterlief der Fehler. Zwar wurde er bald bemerkt, aber öffentlich korrigiert wurde er nie, noch ein Schlag gegen alle guten Bräuche der Wissenschaft.

Stattdessen tauchte die falsche Zahl – leicht gewandelt: In 40 Jahren seien die Gletscher weg – in einem Antrag für Forschungsgelder auf. Sie wurden bewilligt, von ihnen profitierte auch ein Institut in Indien, es heißt TERI, sein Chef heißt Pachauri und ist der Chef des IPCC. Honi soit!

Kommen zusammen: (a) Fehler, (b) eine Struktur, die sie ermöglicht, wenn nicht provoziert, (c) eine Person an der Spitze, die sich in Verdacht bringt, beim Akquirieren von Forschungsgeld mit dem Fehler operiert zu haben. (a) Fehler kommen natürlich vor, (b) das strukturelle Problem will das IPCC beheben. – Bleibt der Mann an der Spitze. Er denkt nicht an Rücktritt, offenbar wird er ihm vom eigenen Gremium auch nicht nahegelegt. Anders wird sich allerdings das rapide Schmelzen des Vertrauens, auch in die Wissenschaft ganz generell, nicht aufhalten lassen, mag der Winter hart sein, wie er wolle.


juergen.langenbach@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.01.2010)

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