Leitartikel

Syrien braucht Frieden und keinen neuen Brandherd

Staffan de Mistura in Wien.
Staffan de Mistura in Wien.REUTERS
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Die Proteste gegen die türkische Militäroperation in Nordsyrien sind noch sehr leise. Dabei birgt die Operation gefährliches Eskalationspotenzial in sich.

Es ist ein weiterer Anlauf, doch noch so etwas wie eine politische Lösung für das geschundene Bürgerkriegsland Syrien zu finden. Seit Donnerstag sind Delegationen der syrischen Regierung und der Opposition in Wien, um mit UN-Sondervermittler Staffan de Mistura zu verhandeln. Vor fast sieben Jahren hat der Aufstand gegen Machthaber Bashar al-Assad mit Protesten in den Straßen begonnen. Dann kippte die Revolte in einen bewaffneten Konflikt. Seither wird um eine friedliche Einigung gerungen. Weite Teile des Landes sind derweil in Trümmer gefallen.

Das furchtbare Ergebnis des Wahnsinns in Syrien: Millionen Flüchtlinge, mehrere Hunderttausend Tote, Giftgasattacken, Massenmord und Massenfolter. Regimetruppen verwüsteten ganze Städte. Und mit der Fortdauer des Konflikts sind in den Reihen der Rebellen die extremistischen Gruppen immer stärker geworden.

Einen Ausweg aus der Gewalt zu finden ist auch deshalb so schwierig, weil es längst nicht mehr nur um einen Aufstand gegen ein Regime geht. Es toben mehrere Parallelkriege. Einer der bizarrsten Auswüchse davon war die Terrorherrschaft des sogenannten Islamischen Staates (IS), die mittlerweile weitgehend beendet wurde. Syrien ist Austragungsort von Stellvertreterkonflikten externer Mächte wie Russland, Iran, USA, Saudiarabien und Türkei. Und vor einigen Tagen hat Ankara nun einen weiteren Parallelkrieg begonnen.

Gemeinsam mit verbündeten syrischen Rebellenmilizen greifen türkische Panzer und Flugzeuge die Region Afrin im Nordwesten Syriens an. Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat sogar damit gedroht, die Offensive auf andere Gebiete auszuweiten, die ebenfalls von den sogenannten Volksverteidigungseinheiten (YPG) und der Partei der Demokratischen Union (PYD) kontrolliert werden. Das wäre eine brandgefährliche Eskalation.

YPG und PYD gelten als Schwesterorganisationen der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), die einen Untergrundkrieg gegen den türkischen Staat führt. Nachdem der Friedensprozess mit Ankara 2015 gescheitert war, verstärkte die PKK ihre Angriffe. Die türkischen Streitkräfte attackierten aufständische Städte im von Kurden bewohnten Osten des Landes mit schweren Waffen und richteten dort große Zerstörungen an. Und in Städten wie Ankara kam es zu Bombenattentaten, für die die PKK-Splittergruppe Freiheitsfalken Kurdistans verantwortlich gemacht wurde.

Die türkische Regierung scheint nun ihre Probleme mit aufständischen Kurden im eigenen Land ins Nachbarland Syrien exportieren zu wollen. Sie argumentiert, dass die bewaffneten PKK-Schwesterorganisationen in Nordsyrien eine Bedrohung darstellen würden. Doch wirklich angegriffen wurde die Türkei von dort aus nie.

Ankara sind die quasiautonomen Gebiete der Kurden in Nordsyrien schon lang ein Dorn im Auge – auch bereits zu einer Zeit, in der der Friedensprozess mit der PKK noch offiziell intakt war. Als der IS auf kurdisch kontrollierte Gebiete in Nordsyrien wie die Stadt Kobane vorrückte, kam aus Ankara zunächst keine Hilfe. Offenbar hoffte man, die Jihadisten würden das „lästige“ Problem auf ihre Weise lösen. Doch Ankara beging dabei einen schweren strategischen Fehler. Denn die kurdischen Milizen, auf deren Niederlage man gesetzt hat, sind heute wichtige Verbündete der USA.


Am 26. Jänner2015, also vor genau drei Jahren, feierten die kurdischen Volksverteidigungseinheiten ihren Sieg über den IS in Kobane. Und mit militärischer Hilfe der USA vertrieben sie die Jihadisten aus weiten Teilen Syriens. Ohne sie wäre die Zerschlagung des IS-„Kalifats“ in Syrien nicht möglich gewesen. Wirklich gedankt wird ihnen das aber offenbar nicht. Zwar gibt es Ermahnungen aus Washington, Paris oder Berlin gegen die türkische Militäraktion in Afrin. Diese Proteste sind aber noch recht leise. Das könnte sich ändern, sollte Ankara die Operationen tatsächlich auch auf andere Gebiete ausweiten. Dann wären nämlich US-Interessen direkt betroffen. Und dann würde etwas über Syrien hereinbrechen, was das malträtierte Land so gar nicht brauchen kann: ein weiterer Krieg im Krieg.

E-Mails an:wieland.schneider@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.01.2018)

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