Leitartikel

Die neue FPÖ – oder: Müssen wir das Selbstverständliche würdigen?

Nach dem Germania-Skandal sorgen sich die Freiheitlichen um ihre Glaubwürdigkeit als Regierungspartei. Worte allein werden aber nicht ausreichen.

Noch wissen wir nicht, woran wir bei der neuen Regierungspartei FPÖ sind, noch ist vieles eine Frage der Perspektive. Dass es immer noch Menschen gibt, die sich über den Holocaust lustig machen; dass sich ein FPÖ-Chef auf dem Akademikerball hinstellen und den versammelten Burschenschaftern erklären muss, dass Antisemitismus und NS-Nostalgie im dritten Lager keinen Platz hätten, hat etwas Surreales. Zumal im Jahr 2018.

Andererseits war es in der Opposition nicht üblich, dass der Parteiobmann so klar reagiert, wenn das Blaue wieder einmal braun befleckt worden ist. Man hätte auch nicht für möglich gehalten, dass eine Regierung, an der die FPÖ beteiligt ist, ein Auflösungsverfahren gegen eine deutschnationale Burschenschaft – in dem Fall die Germania zu Wiener Neustadt – in die Wege leitet (bei aller PR-Show, die da am Mittwoch vor und nach dem Ministerrat abgezogen wurde). Die Frage ist, ob das nicht selbstverständlich sein sollte. Oder sollten wir das Selbstverständliche würdigen, weil es sich um die FPÖ handelt?

Gemessen an der allgemeinen Erwartungshaltung müsste man also anerkennen, dass sich Heinz-Christian Strache doch recht deutlich vom Germania-Skandal um den niederösterreichischen Spitzenkandidaten Udo Landbauer distanziert hat. Allerdings wurden seine Worte gleich wieder verwässert. Das „Jetzt erst recht! Landbauer“-Plakat hat die Glaubwürdigkeit der angeblich neuen Freiheitlichen nicht gerade erhöht. Und dieser hartnäckige Welpenschutz, den Landbauer bei seinem Parteichef genießt, wäre auch einmal zu hinterfragen. Natürlich gilt für den Germania-Aussteiger die Unschuldsvermutung. Aber Strache hätte einschreiten müssen, als Landbauer seine Kritiker zu verhöhnen begann: Er werde es sich nicht nehmen lassen, weiterhin „O Tannenbaum“ und „Stille Nacht“ zu singen. Nach Läuterung klang das nicht wirklich.

Noch, sagte der Vizekanzler gestern, sehe er im Fall Landbauer keine rote Linie überschritten. Fragt sich halt, wer definiert, wo genau diese rote Linie verläuft. Für Bundespräsident Alexander Van der Bellen beginnt sie nicht erst beim Strafrecht – für Sebastian Kurz, der in den vergangenen Tagen großen internationalen Druck verspürt hat, auch nicht mehr. Der Kanzler ist jetzt auf Mikl-Leitner-Linie: In der niederösterreichischen Landesregierung könne es keine Zusammenarbeit mit Landbauer geben.

Strache wird Kurz hier nur schwer widersprechen können, allein schon aus Koalitionsräson. Außerdem gilt für Landbauer die Unschuldsverpflichtung: Jemand, der Vizeobmann einer Burschenschaft war, in der Liederbücher mit NS-verherrlichenden Texten aufliegen, hat in einem Regierungsamt so lange nichts verloren, bis seine Unschuld von einem Gericht bewiesen wurde.

Die Zeiten haben sich geändert, auch für die FPÖ. Sie wird sich überlegen müssen, wer sie in Zukunft sein, welche Rolle sie in dieser Republik spielen will: Schmuddelkind oder ernst zu nehmender Koalitionspartner?

Psychohygiene war ein schönes Stichwort vom oberösterreichischen Vizelandeshauptmann Manfred Haimbuchner. Das führt uns zu Sigmund Freud: Die Regierungsfähigkeit der FPÖ, die Strache unbedingt beweisen möchte, wird sich an ihrer Bereitschaft bemessen, sich einer Analyse zu unterziehen und ihre Vergangenheit aufzuarbeiten, wie das SPÖ und ÖVP schon getan haben. Strache wird das dritte Lager also auf die Couch schicken müssen, wenn er irgendwann als Staatsmann ernst genommen werden will. Das bedingt auch, dass die FPÖ endlich Verantwortung für sich selbst übernimmt: Nicht alles, was man selbst verursacht hat, ist eine linkssozialistische Medienverschwörung.

Eine Historikerkommission mag, sofern sie mit unverdächtigen Experten besetzt wird, ein erster Schritt in Richtung Glaubwürdigkeit sein. Allerdings darf Strache die Gegenwart nicht vergessen: Wie sehr die Burschenschaften noch immer zur FPÖ gehören, zeigt ein Blick in die Ministerkabinette. Hygiene im Haimbuchner'schen Sinn müsste genau dort beginnen. Das wäre vielleicht nicht selbstverständlich, aber einer Regierungspartei durchaus würdig.

E-Mails an:thomas.prior@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.02.2018)

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