Die Beruhigungspillen von Dr. Merkel wirken

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GERMANY-POLITICS-CDU(c) APA/AFP/STEFANIE LOOS
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Mit klugen Rochaden hat die deutsche Kanzlerin ihre Kritiker in der CDU sediert. Jetzt müssen nur noch die SPD-Mitglieder den Intelligenztest bestehen.

Eines muss man Angela Merkel lassen: Sie ist eine begnadete Technikerin der Macht. Der Februar hätte für die deutsche Bundeskanzlerin gefährlich werden können. Mehrere Parteien hatten sich personell erneuert. Erst die Grünen und die CSU, dann warf auch noch Martin Schulz hin – als SPD-Vorsitzender und ein paar Tage später als Außenminister in spe.

Die CDU-Chefin wartete nicht, bis die Dynamik auch sie erfasste und aus den sich häufenden Zeitungsartikeln über die einsetzende Kanzlerinnendämmerung Realität wurde. Merkel ging in die Offensive, lud sich selbst ins öffentlich-rechtliche Fernsehen ein (da reicht in Deutschland offenbar ein Anruf am Merkelofon) und verkündete dem Volk, dass sie bis zum Ende der Legislaturperiode als Regierungschefin zur Verfügung stehen werde. Die aufkeimende Nachfolgedebatte war damit fürs Erste ausgetreten.

Zugleich machte sie sich daran, ihr Haus in der CDU zu bestellen. In den vergangenen Tagen brachte sie mehrere potenzielle Erben in Stellung. In einem überraschenden Eröffnungszug lotste Merkel die bisherige Ministerpräsidentin des Saarlands, Annegret Kramp-Karrenbauer, ins Amt der CDU-Generalsekretärin nach Berlin. Diese Funktion hatte auch Merkel inne, bevor sie 2002 zur Parteivorsitzenden aufstieg. Zwei weitere Nachfolgekandidatinnen hat sie ins Kabinett für eine Neuauflage der Großen Koalition nominiert: die bisherige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und Julia Klöckner, die als Landwirtschaftsministerin vorgesehen ist.

Ins Boot holte sie auch ein viertes Parteimitglied, dem Ambitionen aufs Kanzleramt nachgesagt werden: Jens Spahn darf sich, sofern die Koalition mit der SPD tatsächlich zustande kommen sollte, mit dem Gesundheitsministerium herumschlagen. Ein smarter Kniff: Merkels vorlautester Kritiker und der konservative Flügel der CDU sind damit vorerst ruhiggestellt.

Nun kann niemand mehr sagen, dass Merkel nicht für das Ende ihrer Ära vorgesorgt habe. Sie hat ihr Kabinett verjüngt und gleich vier Personen um sich geschart, die ernsthaft für die Thronfolge in der CDU infrage kommen: Kramp-Karrenbauer, Julia Klöckner, Ursula von der Leyen sowie Jens Spahn, und zwar in dieser Reihenfolge. Das Quartett wird in den kommenden Monaten ausgiebig Gelegenheit haben, sich zu profilieren, zu belauern – und zu neutralisieren. Und in der Zwischenzeit regiert, wenn alles nach Plan läuft, Merkel unbehelligt weiter.

Mit ihren Personalrochaden hat die Bundeskanzlerin den Parteitag rechtzeitig sediert. Kritik kam nur aus der zweiten und dritten Reihe. Die Partei winkte den neuen Koalitionsvertrag mit der SPD durch. Dabei hat Merkel ihrer CDU einiges zugemutet. Besonders hart verhandelt hat sie nicht. Eigentliche Verhandlungsführerin war die Angst vor Neuwahlen. Sonst lässt sich nicht erklären, warum die CDU-Chefin den bei der Wahl geschwächten Sozialdemokraten das Finanzministerium geschenkt hat. Merkel war eine Koalition mit schmerzhaften Abstrichen lieber als gar keine. Man kann das als Wahrnehmung staatspolitischer Verantwortung deuten – oder als Einknicken. Wahrscheinlich trifft beides zu.


Jedenfalls ist die Erpressungstaktik der SPD, deren rund 463.000Mitglieder der Großen Koalition ja noch zustimmen müssen, aufgegangen. Bisher zumindest. Denn noch liegt das Ergebnis der Mitgliederbefragung nicht vor. Erst am Sonntag wird Deutschland wissen, ob es eine neue Regierung hat oder wieder wählen muss. Die SPD wagt eine interessante Versuchsanordnung, indem sie die kollektive Intelligenz ihrer Mitglieder testet. Angesichts verheerender Umfragewerte unter 20 Prozent kämen Neuwahlen einem Massenharakiri gleich. Aber die Aussicht auf vier weitere Jahre neben Merkel ist auch nicht unbedingt belebend. Lehnen die SPD-Mitglieder eine Große Koalition ab, könnte es für Merkel abermals knapp werden. Denn es wäre dann offensichtlich, dass sie nicht mehr imstande ist, eine Regierung zu bilden.

Doch auch dann könnte Merkel immer noch ein Argument für sich aus der Tasche ziehen – und sich als letzter verantwortungsbewusster Stabilitätsanker in unruhigen Zeiten inszenieren. Die Technikerin der Macht ist sicherlich auch auf diese Eventualität vorbereitet.

E-Mails an:christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.02.2018)

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