Leitartikel

Die Generalprobe eines Mitte-rechts-Bündnisses

Viele Ankündigungen, aber (noch) keine großen Reformvorhaben, eine stabile ÖVP, eine widersprüchliche FPÖ und viel Geheimdienst: 100 Tage Türkis-Blau.

Nach fast 100 Tagen Türkis-Blau kann man festhalten: Noch ist nicht viel passiert, ÖVP und FPÖ sind bisher hinter den Erwartungen zurückgeblieben. In jeder Hinsicht. Die Welt ist nicht untergegangen, wie die Apokalyptiker prophezeit haben. Aber inhaltlich ist auch nichts passiert, was diese Welt bewegt hätte.

Bis jetzt wirkt es noch wie die Generalprobe eines Mitte-rechts-Bündnisses, und man fragt sich, wann denn nun die eigentliche Vorstellung beginnt. Es gibt noch wenig Konkretes wie die Deutschklassen und den Familienbonus, aber viele Überschriften und Ankündigungen wie jene, im Jahr2019 einen Budgetüberschuss erwirtschaften zu wollen. Ob das tatsächlich so kommt und ob die gute Konjunktur allfällige größere Einschnitte verhindern kann, wird sich erst weisen. Nicht wenige zweifeln an den wohlklingenden Absichten, weil zum Beispiel für die Abschaffung des Pflegeregresses nur 100Millionen Euro budgetiert wurden. Länder und Gemeinden rechnen aber mit Kosten bis zu 650 Millionen.

Große Reformvorhaben in jenen Bereichen, in denen es notwendig wäre – Pensionen, Gesundheit, Föderalismus –, sind bisher nicht überliefert. Mag sein, dass Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache zunächst das Landtagswahlfinale in Salzburg (22. April) abwarten wollen, ehe sie sich mit den Bewahrern in Ländern und Kammern anlegen. Andernfalls wird man nicht umhinkommen, ihnen eine gewisse Konfliktscheu aus machtpolitischen Motiven vorzuwerfen.

Noch aber hat das Verändererimage, das sich Sebastian Kurz in den vergangenen Jahren aufgebaut hat, nicht gelitten. Weil die größte Veränderung, die er versprochen und federführend betrieben hat, schon 2016 stattgefunden hat: die Wende in der Flüchtlingspolitik. Auch deshalb führt die ÖVP nach wie vor souverän die Umfragen an, in etwa auf dem Niveau des Nationalratswahlergebnisses.

Die FPÖ dagegen tut sich in der neuen Rolle deutlich schwerer, sie kann ihre inneren Widersprüche nun nicht mehr verbergen. Straches Drang, die Regierungsfähigkeit seiner Partei unter Beweis zu stellen, passt nicht zu den bedenklichen Umtrieben in den FPÖ-nahen Burschenschaften. Und der Anspruch, die Partei der Raucher zu sein, kollidiert mit dem Versprechen, für mehr direkte Demokratie zu sorgen.

Und dann wären da noch die Ereignisse rund um das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT). Unabhängig davon, wie die Geschichte ausgeht: Eine Meisterleistung der politischen Kommunikation war das nicht. Was umso bemerkenswerter ist, als gerade diese Regierung sehr auf ihre Außenwirkung bedacht ist. Zu klären wird auch noch sein, warum es vorerst keinen U-Ausschuss gibt. Hat die SPÖ tatsächlich einen Fehler gemacht? Oder wollen ÖVP und FPÖ nur verhindern, dass mehr Licht ins BVT-Dunkel kommt?

Atmosphärisch jedenfalls lässt sich aus der Affäre um den Inlandsgeheimdienst das eine oder andere ableiten: Vielleicht ist das wechselseitige Vertrauen in der Koalition nicht ganz so groß, wie beide Parteien gern behaupten. Sebastian Kurz hat erneut bewiesen, dass er die Kunst des kalkulierten Rückzugs beherrscht. Und Innenminister Herbert Kickl bleibt bis auf Weiteres die große Blackbox der Innenpolitik.

Generell gibt es im Kabinett Kurz ein ziemliches Gefälle zwischen auffälligen und unauffälligen Ministern. Bildungsminister Heinz Faßmann gehört in die erste Gruppe. Karin Kneissl scheint sich auf der außenpolitischen Bühne recht wohlzufühlen. Gernot Blümel und Norbert Hofer treten dann und wann als Regierungskoordinatoren in Erscheinung. Und von Beate Hartinger-Klein weiß man, dass sie sich mit Sozialpolitik und Fettnäpfchen auskennt.

Der Rest ist kaum präsent. Wer war noch gleich Hubert Fuchs? Ach ja, rund um das Budget ist der FPÖ-Staatssekretär im Finanzministerium dann doch wieder aufgetaucht. Angeblich hat man sich schon Sorgen gemacht. Aber gut, es ist ja noch Zeit. Bis zur nächsten Nationalratswahl sind es noch ungefähr 1700 Tage.

E-Mails an: thomas.prior@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.03.2018)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

HC Strache und Sebastian Kurz.
premium

97 Tage Türkis-Blau - eine Bilanz

Kommenden Dienstag sind die ersten 100 Tage absolviert. Was die Regierung Kurz/Strache bisher erreicht hat, womit sie angeeckt ist und was sie noch vorhat.
Innenpolitik

Österreicher mit neuer Regierung zufrieden

Die ÖVP-FPÖ-Koalition hat die Arbeit bisher besser gemacht als die Vorgänger-Regierung. So das Ergebnis einer Umfrage zu 100 Tage Türkis-Blau.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.