Leitartikel

Langsam blättert vom System Orbán der Lack ab, . . .

Viktor Orbán
Viktor Orbán APA/AFP (FERENC ISZA)
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. . . aber diesmal reicht es noch. Die Wiederwahl ist Premier Orbán wohl sicher. Doch mit Angstparolen wird er Ungarns Zukunft nicht gestalten können.

Viktor Orbán hätte auch einen anderen Wahlkampf führen können. Er hätte Erfolge seiner Regierungszeit in den Vordergrund schieben können: Die ungarische Wirtschaft ist um vier Prozent gewachsen, die Arbeitslosigkeit hat sich bei vier Prozent eingependelt, die Staatsschuldenrate ist gesunken, der Lebensstandard gestiegen. Dafür müsste sich der ungarische Premier alles andere als schämen, auch wenn üppige Fördermittel der von ihm gern kritisierten EU erklecklichen Anteil am Investitionsboom haben. Seine unorthodoxe Wirtschaftspolitik war jedenfalls wirkungsvoller, als orthodoxe Ökonomen angenommen hatten.

Orbán hätte auch einen Schritt weitergehen und seinen Bürgern verraten können, wie er sich eine bessere Zukunft für Ungarn vorstellt. Es gäbe ja noch jede Menge zu tun, wie auf den ersten Blick in desolaten Spitälern und Schulen zu sehen ist. Doch der Ministerpräsident zog es in seinem Wahlkampf vor, Angst zu schüren: vor muslimischen Migranten und dem Verlust der ungarischen Identität. Dahinter steckt ein ebenso simples wie zynisches Kalkül: Mit Angst, so glaubt Orbán, kann er besser mobilisieren als mit Hoffnung. Vermutlich hat er damit auch recht.

Als allgegenwärtiges Feindbild muss ein 87-jähriger US-Milliardär mit ungarischen Wurzeln herhalten: George Soros. In einer kruden Verschwörungstheorie mit antisemitischen Untertönen unterstellen Orbáns Propagandisten dem liberalen Philanthropen unablässig, mithilfe von EU-Institutionen und seiner liberalen Stiftung einen heimtückischen „Plan“ zur Überflutung Europas mit Migranten umzusetzen. Der hanebüchene Unsinn ziert seit Monaten Wahlplakate der Regierungspartei. Wer solche Wahnvorstellungen affichiert, lässt nicht bloß Zweifel am Geschmack aufkommen, sondern auch an der moralisch-geistigen Verfasstheit des ungarischen Regierungslagers. Ist da niemand mehr, der zu widersprechen wagt?

Orbán überspannt den Bogen. Seine große Stunde ist vorbei. Sie hat 2015 geschlagen, als Orbán als erster europäischer Regierungschef das Ausmaß der Flüchtlingskrise eiskalt erkannt und einen Grenzzaun hochgezogen hat, um den unkontrollierten Zustrom von Migranten einzudämmen. So widerwärtig er Flüchtlinge damals zum Teil behandeln ließ, seine Analyse war zutreffend. Die anfangs pikiert-empörten europäischen Entscheidungsträger haben die Drecksarbeit später nur ausgelagert: nach Mazedonien, in die Türkei und später auch nach Libyen.

Vor drei Jahren hat Orbán sein Thema gefunden: die Migration. Und seither instrumentalisiert er es, um sich als Retter des christlichen Abendlandes zu stilisieren. Diese Pose trägt zwangsläufig absurde Züge. Denn dauerhaft verirrt sich kaum ein muslimischer Migrant nach Ungarn. Orbán führt einen Phantomkampf. Reale Vorlagen muss er außerhalb seines Landes suchen.

Und dafür spannt er seine gesamte Regierung ein. Kanzleramtsminister János Lázar entblödete sich nicht, in einem Facebook-Video auf der Favoritenstraße vor Zuständen wie im „schmutzigen“ Wien zu warnen. Und Ungarns Außenamt forderte nach Informationen der „Presse“ von ihren Botschaften zwischen Wien und Brüssel negative Integrationsgeschichten ein, die dann staatsnahe Medien willfährig publizierten. Gesucht waren explizit auch Auslandsungarn, die wegen der Multikulti-Probleme eine Heimkehr erwägen. Kein Witz, sondern Tatsache in Ungarns Wahlkampf 2018. In der Realität haben Hunderttausende in den vergangenen Jahren Ungarn den Rücken gekehrt, weil sie anderswo ein besseres Leben erwarten. Doch Fragen mit Wirklichkeitsbezug haben in diesem Wahlkampf kaum eine Rolle gespielt.

Langsam blättert vom System Orbán der Lack ab. Allenthalben platzen Korruptionsaffären in seinem oligarchischen Netzwerk auf. Die Fördergelder der EU werden im nächsten Haushalt nicht großzügiger fließen. Und der ungarischen Phantomdebatte über Migranten und den nicht existenten Soros-Plan wird früher oder später auch die faule Luft entweichen.

Doch bei der Wahl am Sonntag wird Orbán mit seiner Taktik ziemlich sicher noch einmal durchkommen. Die Konkurrenz ist einfach zu schwach.

E-Mails an: christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.04.2018)

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