Leitartikel

Die Nachricht vom grünen Tod ist stark übertrieben

Bei den Grünen ist derzeit etwas die Luft draußen.
Bei den Grünen ist derzeit etwas die Luft draußen.(c) Clemens Fabry
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Die Politik kommt auch ohne vierten Zwerg von links hinten aus, als Umwelt- und Kontrollpartei fehlen die Grünen. Für die Rückkehr fehlt die Nummer eins.

Das kleine Gedankenexperiment sei erlaubt: Was wäre anders, wenn die Grünen noch im Nationalrat vertreten wären? Die Regierung hätte einen oppositionellen Gegner mehr, der sich nicht entscheiden kann, ob er Reformschwäche oder Reformbrutalität kritisiert. Christian Kern und die SPÖ hätten einen Konkurrenten mehr, der zeigt, wie Oppositionspolitik ohne PR-Armada, Beraterstäbe und Herablassung geht. Die Neos hätten doch nicht das Gefühl, allein auf dem Planeten Edelopposition zu sein. Und Peter Pilz hätte einen Grund mehr, in den Nationalrat zurückzuwollen: schon um seine ehemaligen Parteifeinde quälen zu können.

Inhaltlich würde der bevorstehende Ausschuss zu Verfassungsschutz und Innenministerium vielleicht mit den Grünen mehr Tiefe bekommen. Die Defizite beim Klimaschutz würden der Regierung wohl lauter und inhaltlich zwingender vorgeworfen werden. Und Pilz müsste vor seiner peinlichen Rückkehr mit noch mehr Kritik rechnen. Aber sonst wären die Grünen im Nationrat eben eine Oppositionspartei mehr, der vierte Zwerg von links hinten, der insgeheim hoffte, dass die türkis-blaue Regierung den Viktor Orbán auspacken und damit Angriffsfläche bieten würde. Genau das war und ist irgendwie das Problem der Grünen.

Sie waren eine normale, durchschnittliche, professionelle, langweilige Junioroppositionspartei. Während die Macholiste Pilz abgründig interessant war, die Neos für Hauptsache Veränderung und fröhliche Spießer-Esoterik stehen, sich die Freiheitlichen stets als Antisystempartei inszeniert haben, die SPÖ einen neuen Frontmann mit viel Anfangslack und grünem Zweitheimatbezirk aufgestellt hat und die ÖVP mit Sebastian Kurz zur Ö3-Bewegung mit viel Farbe mutiert ist, sind die Grünen die einzige öde Altpartei geblieben. Kein Wunder, dass sich Spitzenkandidatin und halbes Team verabschiedet haben. Nur Alexander Van der Bellen musste aus dem Exil in der Hofburg alles mitansehen.

Ohne Ironie und Krokodilstränen: Dass angesichts des Klimawandels eine Umweltpartei und angesichts einer machtbewussten Regierung eine Kontrollpartei im Parlament sitzen sollte, die diese Aufgaben weder aus Selbstzweck wie vielleicht Peter Pilz noch aufgrund strategischer Überlegungen wie die Neos noch aus Langweile mangels Regierungsjobs wie die SPÖ übernimmt, wäre wichtig.

Die Grünen haben eine klare Chance, wieder in den Nationalrat zurückzukehren. In Zeiten von Macron und Kurz sollte eine neu gegründete Bewegung „von außen“ mit neuen Ideen, Köpfen und Namen Chancen gegen die dann seit fünf Jahren etablierten Systemparteien haben. Rat oder eine Blaupause für die Wiederauferstehung könnten sie sich in den eigenen Reihen holen: entweder Van der Bellen oder den Tiroler Georg Willi fragen, der sich anschickt, Innsbruck als Bürgermeister zu übernehmen. Das einfachste Learning: Ein empathischer Spitzenkandidat muss her, der zumindest die Sprache der politischen Mitte versteht und spricht. Fast alle bisher erfolgreichen Grün-Politiker waren nicht als Weltmeister im Gendersprech bekannt, sondern für unideologischen Ansatz, von Anschober bis Van der Bellen. Werner Kogler ist sympathisch und klug, Wahlen wird er keine gewinnen.

Mindestens ebenso wichtig wäre das Team um die künftige Frontfrau oder den künftigen Frontmann: Wie Kern schmerzlich erleben musste, verbringt man mit geistreichen Intellektuellen und originellen Beratern besser einen privaten Samstagabend als den Wahlsonntag. Eva Glawischnig hatte ein erstklassiges Team. Als das bröckelte, wurde es eng.

Ein Blick nach Deutschland sei angeraten. Nicht zur Schwesterpartei, zu Lindners FDP: Er hat den Wiedereinzug geschafft – mit klarer Zuspitzung auf eine Person, viel Inszenierung und fast radikaler Fokussierung auf wenige (wirtschafts-)politische Themen. Vor allem aber bewegte sich die FDP in zentralen Fragen wie der Flüchtlingsdebatte von links ins Zentrum, man könnte auch schreiben – das wird jetzt einigen gar nicht gefallen: nach rechts. So wie Österreich und Mitteleuropa zuletzt. Das kann man auf Twitter und in der eigenen Gruppe verleugnen. Oder anerkennen und richtige Schlüsse ziehen.

E-Mails an:rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.05.2018)

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