Leitartikel

Idioten, Zyniker, Juden und die FPÖ

Heinz-Christian Strache bei der Gedenkveranstaltung gegen Gewalt und Rassismus.
Heinz-Christian Strache bei der Gedenkveranstaltung gegen Gewalt und Rassismus.(c) APA/HERBERT PFARRHOFER
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Es gibt gute Gründe, Strache die Wandlung zum Philosemitismus nicht gleich abzukaufen. Doch wer die Gesten gar nicht honoriert, erweckt den Eindruck, dass er die FPÖ ewig im Schmuddeleck halten will.

Die Freiheitlichen haben sich das alles anders vorgestellt. Seit Jahren buhlt Heinz-Christian Strache, manchmal mit und manchmal ohne Tönnchen, um die Gunst Israels. Immer wieder haben er und seine Mitstreiter vor dem Antisemitismus gewarnt, den muslimische Migranten nach Europa bringen. Die neue FPÖ wollte anti-islamisch und pro-israelisch sein. Doch die Strategie, sich mit ein paar Reisen nach Jerusalem koscher zu machen, ging (bisher) nicht auf.

Israels Premier, Benjamin Netanjahu, registrierte zwar den blauen Kurswechsel, hielt die Kontaktsperre zu FPÖ-Ministern aber aufrecht. Daran wird auch die Visite von VP-Kanzler Sebastian Kurz nichts ändern, die ihn im Juni ins Heilige Land führt. Netanjahu kann sich, selbst wenn er wollte, nicht so leicht über das Wort der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien hinwegsetzen. Und deren Entscheidungsträger lehnen eine Annäherung an die FPÖ mehrheitlich ab.

Sie nehmen Strache & Co. die Läuterung nicht ab. Aus guten Gründen: Die Liste brauner Ausrutscher ist auch seit dem Regierungseintritt der FPÖ lang: Liederbücher mit judenfeindlichen Texten; Gemeinderäte, die Hitler-Bilder verschicken; Funktionäre, die mit dem Kennzeichen „88“ (Nazicode für Heil Hitler) herumfahren oder Weihnachtssujets der Wehrmacht posten. Und zwischendurch verrät ein Innenminister, der Asylwerber „konzentriert an einem Ort halten“ will, krassen Mangel an historisch-rhetorischer Sensibilität, wenn nicht mehr.

Köhlmeiers Polemik. Michael Köhlmeier führte Beispiele wie diese in seiner Rede bei einer Gedenkveranstaltung an. Wer glaube, dass die FPÖ Juden schütze, sei ein Idiot oder ein Zyniker, sagte der Schriftsteller und erntete Applaus, auch für seinen Seitenhieb gegen Kurz und seinen überzogenen Vergleich der Balkanrouten-Schließung mit der Nazi-Zeit. Polemik gedeiht gut im parteipolitischen Treibhaus. „Danke, Herr Köhlmeier, für Ihre Haltung“, twitterte SPÖ-Chef Kern, der nach der Wahl selbst mit der FPÖ auf Tuchfühlung war und dessen burgenländische Genossen mit den Blauen koalieren. Haltung ist bisweilen eine Tochter der Zeit.

Dass jedoch Juden bei der FPÖ auf der Hut bleiben, ist mehr als verständlich. Die Verletzungen sitzen tief, und jeder neue rechtsextreme „Einzelfall“ reißt Wunden auf. Keiner kann Holocaust-Opfern und deren Familien verübeln, dass sie die Freiheitlichen auch heuer nicht beim Mauthausen-Gedenken dabeihaben wollen.

Da sollte die FPÖ nicht wehleidig sein. Sie hat einfach noch zu wenig getan, um sich von ihren Altlasten zu befreien. Und doch verdienen Straches Bemühungen Anerkennung: Er hat sich im Regierungsprogramm zum Kampf gegen Antisemitismus bekannt und Nachfahren von Nazi-Opfern Doppelstaatsbürgerschaften angeboten, etliche Radikale aus der FPÖ ausgeschlossen und auf dem Burschenschafterball offen gesagt, dass Antisemiten unerwünscht seien. Skepsis bleibt angebracht. Doch wer diese Gesten mit keinem Wort honoriert oder auch nur erwähnt, erweckt den Eindruck, dass er die FPÖ gar nicht in die Mitte ziehen, sondern für immer im Schmuddeleck halten will.

christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.05.2018)

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