Die Muslime sind nicht das Problem

Die säkularen Muslime sind leise, und die religiösen werden in Österreich auch nicht die Scharia einführen.

In ein bis zwei Jahren ist es so weit – dann sind die Deutschen die größte Migrantengruppe des Landes. Die Serben werden dann den zweiten Platz innehaben. Und trotzdem wird wohl auch dann vor allem über die drittgrößte Gruppe geredet werden: die Türken. Sie sind jene Gruppe, an der sich in Österreich die kollektive Angst vor dem „Clash of Civilizations“ mit Blitz und Donner entlädt.

Das liegt zum einen daran, dass sich bei ihnen tatsächlich gewisse Integrationshemmnisse auftun: Kaum gebildete ostanatolische Bauern, die auf eine Großstadt losgelassen werden, in der sie sich logischerweise kaum zurechtfinden, und die folglich den einzigen Halt in ihren teils äußerst archaischen Traditionen suchen, boten von Anfang an nicht die beste Voraussetzung für eine geglückte Integration. Der österreichische Weg, zuerst einmal nichts zu tun und sich danach zu wundern, dass die Gruppe lieber unter sich bleibt, schreibt das Drama fort.

Zum anderen ist das Unbehagen des Österreichers vor dem Türken aber auch dem Islam geschuldet, der spätestens seit den Anschlägen vom 11. September 2001 ein – gelinde gesagt – schlechtes Image hat. Die einstürzenden Türme des World Trade Centers, verwackelte Videos vermummter Kämpfer, die dem Westen Gewalt androhen, dazu korrupte diktatorische Regimes, die ihre Macht durch den Koran gerechtfertigt sehen – kein Wunder, dass das Bild der Muslime zuletzt nicht das beste war. Und ein Bild, das zum Teil äußerst undifferenziert auf die Türken in Österreich projiziert wird. Türke ist gleich Moslem. Moslem ist gleich böse. Punkt.

Dass es nicht zulässig ist, den in Österreich lebenden Türken (und auch allen anderen Muslimen, von denen aber kaum gesprochen wird) den Stempel der al-Qaida aufzudrücken, sollte eigentlich nicht näher erklärt werden müssen. Und auch der Gedanke, dass die Muslime darauf abzielen, über kurz oder lang die Herrschaft über das Land an sich zu reißen, kann nur als lächerlicher Reflex einer Gesellschaft gesehen werden, die längst jegliche Vernunft den Demagogen geopfert hat.

Und doch werden sie angesichts der jüngsten Publikation des Österreichischen Integrationsfonds wiederkommen, die Rufe, dass das Land von Muslimen überrannt wird, bald alle Frauen Schleier tragen und wir uns alle der Scharia unterwerfen müssen. Gebetsmühlenartig werden die Kulturpessimisten wieder einzelne – zugegeben: durchaus fragwürdige – Koransuren zitieren und das Schreckgespenst der Islamisierung des Landes an die Wand malen.

Dabei sagen die Zahlen aus diesem Bericht doch nicht viel mehr aus als: Es gibt mehr Muslime im Land, seit der Volkszählung im Jahr 2001 ist ihre Zahl um rund die Hälfte angestiegen. Die Menschen, die aus der Türkei, aus Bosnien, dem Kosovo oder anderen Staaten hierhergekommen sind, haben Kinder bekommen. Haben ihre Familie nachgeholt. Ein großer Teil von ihnen hat mittlerweile schon die österreichische Staatsbürgerschaft.

Die Integrationsstudie des Innenministeriums stuft 58 Prozent der türkischen Jugendlichen als religiös ein. Und weist darauf hin, dass die Religiosität umso stärker ist, je weniger gebildet die betreffenden Menschen sind. Das hat auch eine gewisse Logik – denn je niedriger die Bildung, desto geringer auch die Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Wer keinen Job hat, hat zum einen ein Bedürfnis nach Halt, den er unter Umständen in der Religion finden kann, und zum anderen viel Zeit, um auf dumme Gedanken zu kommen. Dumme Gedanken, die dann auch provokant in die Welt gerufen werden – und somit das Bild der österreichischen Muslime in der Öffentlichkeit prägen.

In diese Kategorie fallen dann die viel zitierten Erzählungen über türkischstämmige Jugendliche, die hinausposaunen, dass sie irgendwann das Land beherrschen werden, weil sie ja um so viel mehr Nachwuchs bekommen würden. Doch hier widerspricht die Statistik. Zwar ist die Geburtenrate der Muslime etwas höher als die des Durchschnitts, doch mittelfristig nähert sie sich dem Schnitt immer mehr an. Mit steigendem Lebensstandard sinkt eben auch die Bereitschaft, Kinder in die Welt zu setzen. Und das wird über kurz oder lang auch für die Muslime im Land gelten.

Ein Prozess, den Restösterreich schon kennt. Und den Muslimen steht noch eine weitere Entwicklung bevor, die die katholische Mehrheit längst hinter sich hat – die Säkularisierung. Die bekommt heute Nachmittag einen unerwarteten institutionellen Pfeiler: Der Zentralrat der Exmuslime in Österreich gibt seine Gründung bekannt.

Mehr als 500.000 Muslime im Land S. 15

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.02.2010)

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