Wenn Nordkoreas Diktator droht, den Gipfel mit den USA abzusagen, will er sich „Respekt“ verschaffen – und seine Verhandlungsposition stärken.
Willkommen zurück in der Realität nordkoreanischer Verhandlungstaktik: Auf die nahezu märchenhafte Kuscheldiplomatie-Stimmung der vergangenen Wochen stürzt jetzt – aus heiterem Himmel – ein Hagel an Beschimpfungen, Kränkungen, Angriffen auf die USA herab. Das stalinistische Regime sagte nicht nur in letzter Minute ein wichtiges Friedenstreffen mit Regierungsvertretern aus Seoul ab. Sondern stellte plötzlich den „historischen Gipfel“ zwischen Diktator Kim Jong-un und US-Präsident Trump im Juni infrage – und somit eigentlich den gesamten Friedensprozess.
Offen ist, inwieweit ein schon lang angekündigtes US-südkoreanisches Militärmanöver Pjöngjang wirklich zur 180-Grad-Wende bewogen hat. Vor wenigen Wochen noch hatte Kim Jong-un Verständnis für diese Übungen gezeigt. Vielleicht wächst der Druck intern, vielleicht hatte Kim genug von der Friedenstaubenrolle und wollte einfach wieder Muskeln zeigen: Den genauen Grund für den Stimmungswandel wird man aus dem abgeschotteten Regime nie erfahren.
Dafür ist die Strategie umso transparenter: Dieser Wutausbruch erinnert an die klassische, lang bewährte Taktik Pjöngjangs gegenüber dem Westen – für alle drei Schritte nach vorn geht man mindestens einen zurück. Durch diese Strategie der Verunsicherung hat sich das stalinistische Regime in der Vergangenheit schon oft Zugeständnisse erpresst. Und immerhin erfolgte der Schritt zurück diesmal nicht durch einen Raketentest, sondern durch eine Schimpftirade.
Daher will Kim mit seiner Drohung wohl eher nicht den Nordkorea-Dialog beenden. Im Gegenteil: Im blumigen Statement des nordkoreanischen Ministers steckt eine trockene Botschaft an das Weiße Haus, in der unmissverständlich Bedingungen für Verhandlungen gestellt werden. Dies liest sich aus wenigen Sätzen heraus: „Die Welt weiß, dass wir weder Libyen noch der Irak sind“, schreibt der Vizeaußenminister. Sprich: Kim Jong-un wird sich nicht so dumm verhalten wie Muammar al-Gaddafi und Saddam Hussein – die erst ihr Atomprogramm aufgegeben und dann sowohl ihre Macht als auch ihr Leben verloren haben. Oder genauer: Kim ist allerhöchstens bereit zu Verhandlungen über einen langwierigen Abrüstungsprozess in mehreren Etappen – und erwartet für jeden Schritt finanzielle Entschädigungen und Sicherheitsgarantien. Gaddafis Schicksal wird in Nordkoreas Politakademien übrigens gebetsmühlenartig als abschreckendes Lehrbeispiel für Verhandlungen mit dem Westen angeführt.
Nordkorea erinnert zudem das Weiße Haus daran, wieso es sich leisten kann, Bedingungen zu stellen: „Es ist absurd, Nordkorea, einen Atomstaat, mit Libyen zu vergleichen.“ In anderen Worten: Nordkoreas Atombombe ist kein Projekt, sondern eine Realität, behandelt uns auf Augenhöhe, mit dem entsprechenden Respekt. Wir sind eine Atommacht, genauso wie ihr.
Wüst beschimpft wird bezeichnenderweise Trumps neuer US-Sicherheitsberater, John Bolton. Der Hardliner schlug unlängst eine Abrüstung für Nordkorea nach dem Gaddafi-Modell vor. Bolton eignet sich übrigens hervorragend für das alte nordkoreanische Spiel, Tauben und Falken in Seoul, Tokio, Washington und Peking gegeneinander auszuspielen.
Nordkorea versucht also derzeit, seine Verhandlungsposition zu stärken. Der Zeitpunkt ist klug gewählt: Radikale außenpolitische Entscheidungen wie in Israel und im Iran haben die USA international isoliert, der US-Präsident braucht jetzt dringend Erfolge. Taktiker Kim hat Businessman Trump daran erinnert, dass er diese „Erfolge“ von Pjöngjang ganz bestimmt nicht zum Schleuderpreis bekommen wird.
Das Regime hat jetzt vielleicht viele aus dem Friedenstraum gerissen. Aber es hat nur deutlich gemacht, wer es wirklich ist: ein ausgeklügelter, unzuverlässiger Schurkenstaat – mit der Atombombe als Lebensversicherung. Die USA brauchen Fingerspitzengefühl, Klugheit–und vielleicht ein Wunder, um ihre Verhandlungsziele durchzusetzen: Der Gipfel mit Trump ist dabei möglicherweise noch die geringste Hürde.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.05.2018)