Leitartikel

„Italien zuerst“ kann vieles heißen – aber sicher nicht: „Italien allein“

Italien wird nicht aus dem Euro austreten, weil das kein Problem der Italiener lösen würde. Roms Populisten werden sich der Realität anpassen müssen.

Die EU ist nicht perfekt. Der Euro ist nicht perfekt. Niemand weiß das alles besser als die Europäer. Aber ganz ehrlich: Das haben wir nicht gebraucht. Schon vor dem ersten Arbeitstag des neuen Premiers haben die Märkte Italien und seine neue Koalition ins Visier genommen. Und damit die ganze Eurozone.

Es ist verständlich. Die Italiener haben Lega und Sterne gewählt, weil sie unzufrieden sind. Mit der Migrationspolitik vor allem. Und mit der Wirtschaftspolitik in Europa. Die Populisten haben im Wahlkampf allerlei Versprechungen gemacht, die aus dem Trump-Drehbuch stammen könnten. Man wolle die EU-Verträge neu verhandeln – mit Blick auf Staatsverschuldung und Haushaltsdefizit. Ein Grundeinkommen für die Armen soll geschaffen werden. Und die Steuer gesenkt.

Die Italiener haben das mehrheitlich gern gehört. Sie haben für dieses Programm gestimmt. Aber rechnerisch wird das alles schwierig. Das wissen die Anleger. Und die Regierungschefs in den anderen Hauptstädten Europas.

„Falls die neue Regierung das Risiko eingeht, Italiens Verpflichtungen zur Staatsschuld, zum Defizit, aber auch zur Sanierung der Banken nicht einzuhalten, ist die finanzielle Stabilität der Eurozone gefährdet“, sagte der französische Finanzminister, Bruno Le Maire, am Sonntag. In Berlin hält man sich mit Aussagen noch zurück. Es ist ohnehin klar, was Angela Merkel denkt. Sie muss hoffen, dass die neuen Chefs in Rom ihre Vorhaben schrittweise zurücknehmen. Sonst droht tatsächlich eine neue Eurokrise, wie einige Analysten sie schon prophezeien.

Dabei geht es um die Substanz genauso wie um den Eindruck. Auf den Märkten werden ja nicht die konkreten Schritte bewertet, sondern die kollektiven Aussichten in die Zukunft. Es ist ein Imagecontest. Und die Populisten aller Länder nutzen die Schwächen der anderen aus. Donald Trump hat schon im Wahlkampf gern auf den Euro geschimpft. Wird er sich zurücknehmen, wenn die Anleger aus der zuletzt aufstrebenden Eurozone wieder in Richtung Dollar flüchten? Wohl kaum.

Die Regierung in Rom hat von Trump sogar den Slogan „Italien zuerst“ abgekupfert. Aber so einfach wird das nicht. „Italien allein“ ist keine Option. Rom kann sich von Europa nicht abwenden – auch im Sinne der eigenen Bürger.

Italien hat eine Staatsverschuldung von mehr als 130Prozent der Wirtschaftsleistung. Das ist mehr als das Doppelte der eigentlich in der EU vorgesehenen Schuldenquote von 60 Prozent. Die neue Koalition will das Defizit zwar drücken, aber durch Wirtschaftswachstum, nicht durch weitere Einsparungen. Dazu sollen wohl auch die Steuerkürzungen beitragen. Man kann Rom für dieses Vorhaben nur Glück wünschen. Wachsende Wirtschaft, fallende Steuern – wer wünscht sich das nicht?

Was es sicherlich nicht geben wird, weil es rechnerisch unmöglich ist: ein Rettungspaket der EU, wie Griechenland es erhalten hat. Und auch die Notenbank kommt als Feuerwehr nicht infrage. Die Europäische Zentralbank quält sich gerade in Richtung eines Ausstiegs aus der lockeren Geldpolitik. Zwar sitzt bis Herbst 2019 in Frankfurt mit Mario Draghi ein Italiener im EZB-Chefsessel. Aber er wird den Teufel tun, das Ruder für die Populisten in Rom herumzureißen. So ein Zickzackkurs würde nicht nur eine schiefe Optik verursachen und Draghis Platz in den Geschichtsbüchern gefährden, sondern tatsächlich die Stabilität der gesamten Eurozone.


Einen Austritt Italiens aus dem Euro wird es auch nicht geben, egal, wie viel dazu in den kommenden Monaten geschrieben und spekuliert werden wird. Ganz einfach deswegen, weil so ein Schritt kein einziges der italienischen Probleme lösen würde.

So wird auch diese neue Regierung ihren neuen Weg innerhalb der engen, von der Realität vorgegebenen Parameter finden müssen. Immerhin hat das Land – anders als etwa Österreich – schon eine Reihe von Strukturreformen durchgeführt, die den Weg in eine finanziell stabilere Zukunft weisen können. Darauf muss Rom jetzt aufbauen, statt sich in Europa oder auf den Märkten Feinde zu machen.

E-Mails an:nikolaus.jilch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.05.2018)

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