Wahrheit, Offenheit, Standfestigkeit, Respekt – wie wär's zur Abwechslung einmal damit statt mit müden Brückenbauerformeln à l'autrichienne?
Und? Können wir uns nach der tagelangen Aufregung um einen mehrstündigen Besuch des russischen Präsidenten, Wladimir Putin, in Österreich vielleicht wieder etwas beruhigen? Könnten die Herren Politiker und Wirtschaftsfunktionäre auf die zuletzt wieder unzählige Male strapazierten Floskeln von „Österreichs Brückenfunktion“ und „Österreichs vertrauens- und respektvollem Umgang“ mit Russland verzichten und einfach nur noch das sagen, was Sache ist.
Sache ist zum Beispiel, dass Russland ganz gewiss keine Brücke in die EU braucht, es hat in Brüssel und in allen Hauptstädten der EU große und sehr effiziente Vertretungen. Da braucht es sicher keine Vermittler aus Österreich. Sache ist zum Beispiel, dass Russland gerade einmal auf Platz 16 der wichtigsten Handelspartner Österreichs ist. Platz 16! Ist das die „herausragende Rolle“, von der der neue Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer gesprochen hat?
Natürlich haben auch die Medien mit ihrer streckenweise geradezu hysterischen Berichterstattung in der Art von „Zar Putin kommt – die Welt blickt nach Österreich“ dazu beigetragen, diesem Staatsbesuch eine Bedeutung beizumessen, die er einfach nicht hatte. Richtig ist aber, dass von außerhalb genau darauf geschaut wird, wie das schwarz-blau regierte Österreich mit Putins Russland umgeht.
Dabei wäre allen an korrekten Russland-Beziehungen Interessierten empfohlen, einmal einen Blick zum EU-Partner Finnland zu werfen. Die Finnen haben eine lange Grenze und enge Wirtschaftsbeziehungen mit Russland, sie müssen alle Hochs und Tiefs in den Beziehungen des Westens zu Russland mitmachen.
Aber niemand kann ihnen vorwerfen, dass sie russophil oder russophob seien. Sie pflegen ganz einfach ein pragmatisches Verhältnis zu Moskau, und der finnische Außenminister, Timo Soini, erklärte der „Frankfurter Allgemeinen“ vor Kurzem, wie das zu bewerkstelligen ist: „Man spricht die Wahrheit aus, steht dazu und ändert seine Meinung nicht immer wieder. Das respektiert Russland. Gleichzeitig ist es den Russen wichtig, dass sie nicht lächerlich gemacht werden. Sie wollen Respekt.“ Wahrheit, Offenheit, Standfestigkeit, Respekt – wie wär's zur Abwechslung einmal mit solch nüchterner Diplomatie statt mit müden Brückenbauerformeln à l'autrichienne?
Ja, für Putin ist die weltpolitische Konstellation im Moment sehr, sehr günstig. In den USA tut der jetzige Präsident, Donald Trump, alles, um den russischen Präsidenten weltpolitisch zu stärken. Im Nahen und Mittleren Osten hat er ihm praktisch das Feld überlassen. Mit der Einleitung eines Handelskriegs vergrößert Trump die Frustration der Europäer wegen ihrer Schutzmacht Amerika, sodass immer mehr von ihnen fragen, ob man „noch Feinde braucht, wenn man solche Freunde hat“ (Donald Tusk). Und die Stimmen mehren sich, die laut fragen, ob Putins Russland nicht ein verlässlicherer Partner für Europa wäre als Trumps Amerika. Und das nicht nur im äußerst rechten und äußerst linken politischen Lager, wo sich die Bewunderer Putins massenhaft tummeln.
Russland trägt das Seine dazu bei, um die transatlantischen Bruchlinien ebenso wie die Kluft zwischen moskaufreundlichen und moskaukritischen EU-Staaten zu vertiefen, die breite Unzufriedenheit mit der Elite in europäischen Gesellschaften zu schüren. In dieser Art gesellschaftlicher Einflussnahme, systematischer Desinformation und Cyberangriffe sowie gezielter Propaganda ist – vielleicht außer China – derzeit kein Staat so geschickt wie Russland.
Nur, was bringt diese Art der Unterminierung westlicher Demokratien eigentlich den Bürgern Russlands? Das größte Land der Welt hat weiterhin nichts anders zu exportieren als Rohstoffe und Waffen. Was den Umbau der Wirtschaft anbetrifft, hat Putin in 18 Jahren nicht wirklich etwas weitergebracht – außer, dass der Staatssektor wieder enorm gewachsen ist. Die Aufhebung westlicher Sanktionen würde keine Verbesserung für die schlecht aufgestellte russische Wirtschaft bringen. Vielleicht also sollte Putin einfach einmal andere Prioritäten setzen.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.06.2018)