Integration ohne Druck und Strafen? Hat noch nie funktioniert

Die Zahl der Asylberechtigten, die Deutsch und mehr über die Gepflogenheiten des Landes (Wertekurse) lernen wollen, hat sich deutlich erhöht.
Die Zahl der Asylberechtigten, die Deutsch und mehr über die Gepflogenheiten des Landes (Wertekurse) lernen wollen, hat sich deutlich erhöht.(c) Clemens Fabry
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Die Androhung von Sanktionen im Zuge des Integrationsgesetzes hat die Zahl der Teilnehmer an Deutschkursen deutlich erhöht. Nichts daran ist falsch.

Die einen lieben es zu gewinnen, die anderen hassen es zu verlieren. Das Ergebnis ist das gleiche – sie arbeiten härter als jene, denen Erfolg und Aufstieg gleichgültig sind. Ähnlich verhält es sich mit der Forderung nach Leistung, besonders in Zusammenhang mit Integration: Manche betrachten sie als Chance und erbringen sie, andere wiederum als Druck – und erbringen sie. Leistung nicht zu erbringen ist jedenfalls keine Alternative, die so ohne Weiteres geduldet werden sollte.

Wer diesen Ansatz negiert, zeigt sich gleichgültig gegenüber (nur als Beispiel) Zehntausenden türkischen Gastarbeiterkindern in Österreich, die wegen Sprachdefiziten Hilfsarbeiter geworden sind oder gar keine Arbeit finden, obwohl sie das Potenzial für eine akademische Karriere gehabt hätten und einen wertvollen Beitrag in der Gesellschaft hätten leisten können, anstatt ihr auf der Tasche zu liegen. Mit Nebenwirkungen wie Parallelgesellschaften und Anfälligkeit für religiöse Radikalisierung. Das alles nur deswegen, weil es niemand für notwendig erachtet hat, dieser und ihrer Elterngeneration Anreize zu schaffen und natürlich auch etwas Druck auszuüben – mit verpflichtenden Deutsch- und Fortbildungskursen etwa.

Integrationsversäumnisse, die sich nie, wirklich nie wiederholen dürfen. Vor diesem Hintergrund trat vor genau einem Jahr das noch von SPÖ und ÖVP beschlossene Integrationspaket in Kraft.

Darin wurde vor allem verankert, dass anerkannte Flüchtlinge, die seit 2015 Schutz erhalten haben und arbeitsfähig sind, ab September 2017 ein standardisiertes Integrationsprogramm beim Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) absolvieren müssen, das in der Regel zwölf Monate dauern soll. Bei entsprechenden Vorkenntnissen können Module auch übersprungen werden. Voraussetzung sind Grundkenntnisse der deutschen Sprache auf A1-Niveau und Arbeitsfähigkeit. Vorrangig geht es also darum, die Betroffenen fit für den Arbeitsmarkt zu machen. Neben Deutsch- und Wertekursen sind ein Kompetenzclearing, Bewerbungs- und Arbeitstrainings sowie Arbeitsvorbereitungsmaßnahmen verpflichtend. Menschen, die in das Programm fallen und nicht mitwirken, drohen Sanktionen in Form einer gekürzten Mindestsicherung. In Wien etwa wird seit Februar sanktioniert, seit der Novelle des Mindestsicherungsgesetzes.

Und siehe da, die Zahl der Asylberechtigten, die Deutsch und mehr über die Gepflogenheiten des Landes (Wertekurse) lernen wollen, hat sich deutlich erhöht. Im vergangenen Jahr wandten sich Asyl- und subsidiär Schutzberechtigte 134.500-mal an die neun ÖIF-Zentren in Wien, St. Pölten, Graz, Linz, Innsbruck, Salzburg, Klagenfurt, Bregenz und Eisenstadt sowie an die mobilen Beratungsstellen in den Regionen – das entspricht einer Zunahme um 70 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Besonders deutlich ist die Veränderung des Geschlechterverhältnisses. Derzeit machen Frauen etwa 45 Prozent der Wertekursteilnehmer aus. Vor Inkrafttreten des Gesetzes waren es 22 Prozent.


Mehr als die Hälfte aller Kursteilnehmer kommen im Übrigen aus Wien. Männer und Frauen, die schon seit Jahren in Österreich leben und diese Kurse eigentlich schon früher hätten absolvieren können und sollen. Haben sie aber nicht getan – obwohl es in ihrem eigenen Interesse wäre. Ist wohl alles nicht so logisch, wie es auf den ersten Blick aussieht. Es brauchte erst eine eindeutige Aufforderung, die sie auf die Sanktionen hinwies.

Eine Aufforderung, von der sie selbst und ihre Kinder profitieren werden und die frühere Generationen nicht bekommen haben. Warum eigentlich? Weil man sie nicht allzu sehr unter Druck setzen wollte? Weil man dachte, sie kehren ohnehin wieder zurück? Weil es dem eigenen Weltbild nicht entsprochen hätte, etwas Selbstverständliches einzufordern? War es wirklich im Interesse dieser Menschen, sie auf sich allein gestellt zu lassen?

Vielleicht sollten sich verantwortliche Politiker diese Fragen einmal stellen, wenn sie das nächste Mal fein essen gehen und sich besonders tolerant fühlen – weil das Restaurant, in dem sie sitzen, ein türkisches in Ottakring ist.

E-Mails an:koeksal.baltaci@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.06.2018)

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