Leitartikel

Von flexibleren Arbeitszeiten können alle profitieren

(c) Clemens Fabry
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Arbeit muss dann geleistet werden, wenn sie anfällt. Die Zeiten von starren Regelungen sollten vorbei sein, auch im Interesse der Arbeitnehmer.

Es war eine revolutionäre Tageseinteilung, die 1918 gesetzlich verankert wurde: acht Stunden Arbeit, acht Stunden Freizeit, acht Stunden Schlaf. Der Achtstundentag hatte jahrzehntelang seine Berechtigung. Aber jetzt, 100 Jahre später, hat sich diese Tageseinteilung überholt.

Halten wir eingangs fest: Ja, die Vorgangsweise der Regierung bei der Novellierung des Arbeitszeitgesetzes ist nicht sonderlich klug. Eine solch umfassende Materie per Initiativantrag im Nationalrat zu regeln ist einzigartig. Auch wenn sich die Sozialpartner im vergangenen Jahr in der Frage schon weitgehend geeinigt hatten, sauberer wäre es gewesen, die Änderungen als Regierungsvorlage in Begutachtung zu schicken. Das hätte Raum für eine breitere Diskussion gelassen, so sieht es nach Durchpeitschen aus.

Ganz grundsätzlich haben ÖVP und FPÖ mit ihrer Initiative aber natürlich recht und führen Österreich mit diesem Arbeitszeitgesetz ins 21. Jahrhundert. Die strikte Vorgabe einer Arbeitszeit von acht bis zwölf und 13 bis 17 Uhr und die Drohung mit massiven Geldstrafen bei Verstößen gegen diese Regelung sind überholt. Arbeit muss dann geleistet werden, wenn sie anfällt. Und nicht dann, wenn der Gesetzgeber oder die Sozialpartner sie vorschreiben.

In der Wirtschaftskrise hat man gesehen, dass die Unternehmen mit flexiblen Arbeitszeiten Jobs retten konnten. Die, die in den starren Vorgaben des Gesetzes gefangen waren, mussten mit Kündigungen auf die sinkende Nachfrage reagieren.

Genauso muss ein Unternehmen auf plötzlich steigende Nachfrage mit einer Ausweitung der Arbeitszeit reagieren können. Die Zeiten, als man kurzfristig Menschen einstellen konnte, sind vorbei – auch deshalb, weil es oft an Arbeitswilligen mangelt (der Anlagenbauer Elin klagte jüngst in der „Presse“, dass man auf einen Millionenumsatz verzichte, weil man keine Mitarbeiter finde). In Zeiten immer geringer werdender Margen sind Lösungen gefragt, die für die Arbeitgeber leistbar und für die Arbeitnehmer vertretbar sind. Die geplante Flexibilisierung der Arbeitszeit bringt diese Lösungen.

Auf der anderen Seite stehen die Arbeitnehmer, denen Freizeit immer wichtiger wird. Bereits jetzt sperren viele Firmen am Freitagnachmittag zu, weil man von Montag bis Donnerstag mehr arbeiten ließ, damit die Mitarbeiter ein längeres Wochenende haben. Nicht wenige werden bereit sein, noch mehr zu arbeiten, wenn sie dafür den ganzen Freitag freihaben.

Und damit sind wir schon bei einem grundlegenden Missverständnis, dem selbst IV-Präsident Georg Kapsch unterlegen ist: Arbeitet jemand in der Gleitzeit freiwillig mehr, bekommt er dafür Zeitausgleich – kann also beispielsweise den Freitag einarbeiten. Ordnet aber sein Chef Mehrarbeit an, sind Zuschläge fällig. Genauso, wenn bei einem Achtstundentag nicht – wie bisher – maximal zehn, sondern maximal zwölf Stunden gearbeitet wird. Das muss bezahlt werden.

Vielleicht wäre diese Regierungsinitiative auch ein guter Anlass, um über eine Ausweitung des Boni-Systems in Unternehmen zu reden. Wenn die Mitarbeiter vom direkten wirtschaftlichen Erfolg der Firma profitieren, sind sie auch eher bereit, mehr Einsatz zu zeigen. Warum sollen gute Ergebnisse nur dem Management zugutekommen?

Der Aufstand der Gewerkschaft und der SPÖ gegen die Initiative ist verständlich und politisch motiviert: Der ÖGB hat mit Wolfgang Katzian einen neuen Chef, dass man ihm zum Einstand den Zwölfstunden-Arbeitstag auf den Tisch knallt, könnte er als Provokation verstehen. Und die SPÖ sieht ihrerseits die Chance, sich wieder als Arbeiterpartei zu etablieren, Stimmung gegen die FPÖ zu machen und so enttäuschte Wähler zurückzugewinnen.

Dass Christian Kern selbst in seinem Plan A mehr Flexibilität gefordert hat (Zitat: „Bei Gleitzeit sollen zwölf Stunden tägliche Arbeitszeit möglich werden, jedoch nur, wenn als Ausgleich längere zusammenhängende Freizeitblöcke genommen werden können“), scheint vergessen. So ändern sich halt die Realitäten, wenn man nicht mehr Regierungschef, sondern Oppositionsführer ist.

E-Mails an: norbert.rief@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.06.2018)

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