Leitartikel

Was Merkel und Seehofer vorlegen, ist eine nationale Scheinlösung

(c) APA/AFP/JOHN MACDOUGALL
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Der Kompromiss der Union im Asylstreit geht zulasten Dritter, nämlich der SPD und Österreichs. Was auf geduldigem Papier steht, wird kaum so kommen.

Es ist ja schön, dass CDU und CSU sich geeinigt haben. Eine Regierungskrise in Deutschland wäre das Letzte gewesen, was Europa in Zeiten des globalen Umbruchs gebraucht hätte. Doch der Kompromiss, an den sich die Union klammert, geht zulasten Dritter. Das wollte die deutsche Kanzlerin, Angela Merkel, ihrem Bekunden nach eigentlich immer vermeiden. Jahrelang predigte sie, wie notwendig europäische Lösungen in der Migrationskrise seien. Was die Union nach ihrem chaotischen Streitbeilegungsverfahren vorgelegt hat, ist jedoch eine vorerst unkoordinierte nationale Scheinlösung.

Zum Handkuss soll dabei Österreich kommen. Asylwerber, die Deutschland mangels Verwaltungsabkommen nicht direkt aus den geplanten Transitzentren in die für das Verfahren zuständigen EU-Staaten zurückschicken kann, sollen einfach jenseits der bayerischen Grenze abgeladen werden. So steht es im Kompromisspapier. Dabei berufen sich CDU und CSU auf „eine Vereinbarung“ mit der Republik Österreich. Falls damit das seit 1998 bestehende Rückübernahmeabkommen gemeint sein sollte, befindet sich die Union auf dem Holzweg. Denn darin geht es um Personen, die rechtswidrig eingereist sind. Für die Rückstellung von Asylwerbern in Europa gilt ein anderes Regelwerk: die Dublin-Verordnung. Warum sollte die Republik Asylwerber aus Deutschland aufnehmen, für die sie nicht verantwortlich ist? Keine österreichische Regierung, egal, wie sie sich zusammensetzt, wird einer solchen Abmachung zustimmen.

Daran wird auch der für Donnerstag angesetzte Besuch des deutschen Innenministers Seehofer in Wien nichts ändern. Seine wüsten Rücktrittsdrohungen beeindrucken außerhalb Deutschlands niemanden. Warum ihn Merkel weiter in ihrem Kabinett duldet, weiß nur sie. Wer die eigene Regierungschefin dermaßen unverschämt wiederholt in aller Öffentlichkeit desavouiert, ist als Minister untragbar. Teil des Deals der Union hätte sein müssen, dass Seehofer geht. Mit ihm in der Regierung und an der Spitze der CSU ist es nur eine Frage der Zeit, bis der nächste Koalitionsstreit Berlin lahmlegt.

Den dritten Regierungspartner hätte man zuletzt fast vergessen. Für die deutschen Sozialdemokraten ist eine einzige Zumutung, was die Union zuletzt abgeliefert hat. Von Transitzonen war nie die Rede im Koalitionspakt. Vor drei Jahren noch hat die SPD grenznahe Anhaltezentren für Flüchtlinge wütend abgelehnt. Jetzt musste Parteichefin Nahles schlucken, was Seehofer und Merkel ihr vorsetzen, oder ein Ende der Koalition riskieren. An Neuwahlen allerdings hat derzeit außer der AfD keiner Interesse.

Bundeskanzler Sebastian Kurz musste in der Nacht auf Dienstag erkennen, dass ihm seine guten Weißwurst-Kontakte zur CSU nicht helfen, wenn es darauf ankommt. Die österreichische Regierung wurde überrascht vom Verhandlungsergebnis der Union und war überhaupt nicht eingebunden, obwohl die Republik direkt davon betroffen wäre. Es zählt zu den Absurditäten der Flüchtlingsdauerkrise in Europa, dass Kurz, Strache & Co. mit Seehofers hartem Kurs sympathisieren, den Österreich nun als Erster ausbaden könnte.

Eine Allianz von Nationen, die sich immer nur selbst am nächsten sind, kann nicht weit tragen. Und so setzte schon am Tag nach der Berliner Entscheidung ein Dominoeffekt ein. Österreich kündigte seinerseits Transitzonen an der Grenze zu Italien und Slowenien an. Und Italiens strammer Innenminister, Matteo Salvini, drohte gleich an, den Brenner dichtzumachen, damit keine Migranten aus dem Norden zurückgeschickt werden können. Für Staus mitten in der Urlaubszeit wäre also schon auf beiden Seiten der Grenzen gesorgt.

Es ist eine Binsenweisheit, aber lösen kann Europa die Migrations- und Flüchtlingskrise nur gemeinsam: durch strenge Kontrollen an der EU-Außengrenze, eine Beschränkung der Zuwanderung auf Qualifizierte, eine Reform des Dublin-Systems und vernünftige Asylregeln, die für den ganzen Kontinent gelten. Möge die von Seehofer losgetretene Krise im Sinne einer paradoxen Intervention dazu beitragen, dass Europas Regierungen die seit Ewigkeiten auf dem Tisch liegenden Ideen endlich umsetzen.

E-Mails an: christian.ultsch@diepresse.com


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.07.2018)

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