Fliegen ist großartig, aber man versäumt dabei die Reise

Ein Flug ist eine Reise ohne Reise.
Ein Flug ist eine Reise ohne Reise.(c) imago/Frank Sorge
  • Drucken

Flugreisen werden immer unbequemer? Sehen wir es positiv: als Argument für zeitaufwendigere Formen des Reisens. Ein Plädoyer für das Dazwischen.

„Was zählt, das liegt dazwischen“, sangen die Wiener Edek Bartz und Wolfgang Kos 1982 als Duo namens Leider keine Millionäre. In ihren so klugen wie leisen Liedern ging es ums Reisen, in einem davon ums Fliegen: „Your Life Vest Is under Your Seat“, hieß es, und eine Zeile darin war: „Das Meer liegt unter dem Sitz.“

Ja, wir fliegen von Stadt zu Stadt, von Land zu Land, von Kontinent zu Kontinent, oft auch übers Meer. Aber wir sehen es fast nie dabei, wir fliegen zu hoch, wir haben keinen Fensterplatz, oder das Fenster ist zu klein, oder es ist Nacht.

Überspitzt gesagt: Ein Flug ist eine Reise ohne Reise, ihm fehlt das Dazwischen. Dafür macht er blind. Es ist fast wie beim Beamen, allerdings deutlich unangenehmer: Die Klagen über enge Sitze, unzumutbare Verspätungen, mangelndes Service, lästige Sicherheitskontrollen sind längst Folklore. Ja, wo bleiben denn die Gratiszeitungen im Flugzeug neuerdings? Und die Stewardessen lächeln nicht mehr wirklich entspannt, so eine Zumutung! Bald gibt es nicht einmal mehr Tomatensaft! Die Diagnose ist klar: Das ist die logische Folge der niedrigen Flugpreise, auf denen offenbar sogar Wohlhabende bestehen. Wer um 200 Euro in die Ferien fliegt, darf sich nicht wundern, dass ihm wenig Luxus geboten wird.

Aber dafür ist er g'schwinder dort, um es mit den Worten aus Helmut Qualtingers Lied „Der Halbwilde“ zu sagen. Das ist wohl wahr – auch wenn man bei der Zeitkalkulation oft die Anreise zum Flughafen und das Warten auf diesem einzurechnen vergisst. Man will ihn halt schnell hinter sich haben, den Ortswechsel, man will schnell ins Paradies. (Und wieder zurück, nach der Rückreise braucht man dann einen Erholungstag, bevor der Alltag beginnen kann.)

Doch bringt man sich damit nicht um das Erlebnis der Reise? „Man reist ja nicht, um anzukommen, sondern, um zu reisen“, sagte Goethe in hübscher Übertreibung; knapper fassten es Konfuzius („Der Weg ist das Ziel“) und Patti Smith („Travel is the key“).

Man kann auch fragen: Kommt man wirklich an, wenn man das Dazwischen ausgelassen hat? Wieder überspitzt formuliert: Wer von Wien nach Venedig will, muss über den Semmering. (Oder wenigstens irgendwie durch die Steiermark.) Wer wirklich in England ankommen will, muss die weißen Klippen von Dover sehen. (Sie sieht man übrigens auch nicht, wenn man durch den Tunnel unter dem Ärmelkanal fährt.)

Gewiss, dieses Ideal lässt sich nicht durchhalten, wenn man geschäftlich reisen muss, wenn man kurz einmal nach Manhattan auf einen Kaffee oder nach Wien in die Oper muss oder wenn man es einfach nur eilig hat, weil Eile aufregend ist. Es hat auch seinen Reiz, blitzartig – oder wenigstens schallartig – den Ort zu wechseln, den alten Planeten als klein zu erleben, schnell zu sein; es wäre hinterwäldlerisch und onkelhaft, diese Lust zu leugnen oder den Flugverkehr pauschal zu verdammen. Hier soll auch nicht von Kerosin, Kohlendioxid und Klimawandel die Rede sein, wir haben ohnehin alle schon so viele Schuldgefühle, dass sie uns lähmen, so sehr, dass wir höchstens noch die Kraft haben, gute Vorsätze zu schmieden, keine mehr, um sie zu verwirklichen. Dass wir Extraferien brauchen, um unsere Schuldgefühle wegen nicht eingehaltener Energiesparvorsätze zu vergessen, Energieferien sozusagen . . .

Doch immer mehr Menschen werden von selbst draufkommen, dass es genau das Wesen eines Urlaubs sein kann, dass die Eile – wenn auch nicht das Abenteuer – schon bei der Anreise Pause macht. Besonders in Raststationen oder, noch besser, im Zugrestaurant oder in der Radfahrerschenke. Dass es ein feiner Luxus ist, einen Tag einzuplanen, an dem man die Reise – der Leser verzeihe das von der Erlebnisindustrie abgedroschene Wort – bewusst erlebt, zusieht, wie aus der Ebene das Alpenvorland wächst und dann das Gebirge, nur zum Beispiel. Wie die Schilder abrupt die Sprache wechseln, und die Häuser allmählich die Form.

Eine Schwimmweste kann man sich ja trotzdem unter den Sitz legen, im mitfühlenden Gedenken an die Kollegen, die es eilig haben.

E-Mails an: thomas.kramar@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.07.2018)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Kleine Panne beim Sicherheitscheck, große Folgen: Die Räumung des Terminals zwei auf dem Münchner Flughafen sorgte am Wochenende für 330 Flugausfälle und tagelange Wartezeiten für Tausende Passagiere.
Österreich

Zu viele Hürden zum Urlaubsglück

Streiks, Pannen, Ausfälle: Wer in diesen Tagen in Europa seine Ferien verbringt, muss sich auf einiges gefasst machen. Über Gründe und Hintergründe.
Österreich

Die Verlierer der Sommersaison 2018

Die Türkei ist nicht mehr Krisenherd, sondern gefragtes Reiseziel. Die Konkurrenz in Westeuropa spürt das. Für sie wird der Sommer zur Bestandsprobe.
Das Fliegen hat für viele Reisende an Charme eingebüßt.
Österreich

Als das Fliegen den Zauber verlor

Fliegen hat für viele an Charme eingebüßt. Nicht erst seit den jüngsten Streiks und Pleiten. Die Österreicher zieht es zu den Klassikern: an die Adria und ins Reisebüro.
Wann muss die Fluglinie zahlen?
Österreich

Flug verspätet oder abgesagt? Wann die Airline zahlen muss

Wenn sich Flüge massiv verspäten oder abgesagt werden, steht den Passagieren oft eine Ausgleichszahlung zu. Wann und wie viel genau, hängt von der Dauer der Verspätung und der Flugdistanz ab. Bei der zuständigen staatlichen Agentur sind die Beschwerden zuletzt stark angestiegen.
Camping erlebt wieder einen Boom.
Österreich

Urlaub – ohne Flug, ohne Reisebüro, ohne Hotel

Nach Jahren des Niedergangs erlebt der Urlaub mit Zelt oder Wohnwagen wieder einen Boom.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.