Im Sommer werfen Zwerge lange Schatten

Sebastian Kurz sollte das Säbelrasseln mancher Landesfürsten nicht unterschätzen.
Sebastian Kurz sollte das Säbelrasseln mancher Landesfürsten nicht unterschätzen.APA/GEORG HOCHMUTH
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Die angebliche Revolte in der türkis-schwarzen ÖVP ist keine. Aber das Säbelrasseln mancher Landesfürsten sollte Sebastian Kurz nicht unterschätzen. Und die wahren Bruchlinien in der Koalition.

Bis vor wenigen Tagen wussten wir nichts von diesen tapferen politischen Widerstandskämpfern: In der Metallergewerkschaft gibt es tatsächlich einen eigenen ÖAAB-Flügel. Richtig gelesen, in der stolzen roten Vorzeige-Gewerkschaft gibt es schwarze Arbeitnehmervertreter. Das Beispiel sollte Schule machen: Eine Neos-Gewerkschaftsfraktion in den ÖBB oder einen feministischen Bund im Vatikan braucht die Demokratie doch etwa dringend. Und in der FPÖ-EU-Parlamentsfraktion könnten ein paar Tapfere eine Refugees-Welcome-Gruppe einrichten. Zumindest auf WhatsApp.

Den schwarzen Metallergewerkschafter gibt es leider nicht mehr. Er ist aus Protest gegen die soziale Kälte der Regierung zurückgetreten. Aber nicht nur er ist unzufrieden, eine bunte Mischung aus Ländervertretern und Pendeluhrschläfern aus dem ÖAAB wagt den Protestsprung ins mediale Sommerloch. Die nach der Fußball-Weltmeisterschaft gelangweilten Journalisten reagieren erfreut, verteilen bei jedem Sprung die dazugehörigen Noten und sehen wieder einmal das Ende der Regierung nahen. Und das dürfte wieder einmal dann doch nicht der Fall sein.

In der medialen Dauerhysterie vieler frei- und hauptberuflicher Publizisten drohen die Grenzen zwischen relevant und irrelevant ständig zu verschwimmen und damit eine der wichtigsten journalistischen Kompetenzen verloren zu gehen. Das ist auch das Problem mit der im Kern professionellen Message-Control-PR-Politik der Regierung. Ist die Message auf Urlaub, hilft auch keine Control mehr. Dann kann jedes Sommerinterview von schwarzen Zwergen und Riesen zu einem Wasserglassturm werden.

Die Aufregung über die Flexibilisierung ist jedenfalls eine rein künstliche und mehr eine Art gruppendynamisch wichtige Mobilisierungsübung der Gewerkschaften. Wesentlich ernster sollte Sebastian Kurz den Widerstand mancher Länderchefs gegen die notwendige und inhaltlich richtige Zusammenlegung der Krankenkassen nehmen. Dabei geht es nicht nur um Verlustängste um Finanzen und Jobs. Das ist vielmehr ein Vorgeschmack auf den Abwehrkampf der stolzen und bei Wahlen erfolgreichen Landeschefs gegen den erstrebenswerten Umbau unseres Luxusföderalismus.

Ein Parteichef kann als Reformer nur dann erfolgreich sein, wenn er zu Beginn mit den Veränderungsfeinden in den eigenen Reihen (und im ganzen Land) in den Clinch geht. Das gilt übrigens auch für SPÖ-Chefs im Kanzleramt. Wer bei Veränderungen im Land erfolgreich sein will, muss mit den Arbeitnehmern und Gewerkschaften in eine (sachliche) Auseinandersetzung gehen.

Noch viel fragiler für die Regierung sind zwei andere Themenfelder: einerseits die Affäre um die Verfassungsschützer, in der sich blaue Augiasstall-Forscher und schwarze Geheimnisbewahrer unversöhnlich gegenüberstehen. Und dann wartet das innenpolitische Minenfeld Europa auf die türkis-schwarz-blaue Regierung. Die provokanten Angriffe auf den physisch angeschlagenen Kommissionspräsidenten durch das FPÖ-Generalsekretariat werden kein Einzelfall bleiben. (Dass Jean-Claude Juncker mit oder ohne Ischias oder Alkohol fast allen seinen Widersachern politisch und intellektuell überlegen ist, dürfte den Zorn auf ihn nur vergrößern.)

Wenn Italiens Innenminister und Lega-Nord-Mann Matteo Salvini eine Rechts-außen-Liste für die Europa-Wahlen ankündigt und bei einem Wahlsieg den Kommissionspräsidenten fordert, wird das für die bisherige Europa-Partei ÖVP im Wiener Koalitionsgefüge noch schwieriger. Mit oder ohne Othmar Karas als ÖVP-Spitzenkandidaten. Der benimmt sich übrigens wie der mittelalterliche Sohn, der aus dem Hotel Mama nicht ausziehen will: Eigentlich wäre es außerhalb der ÖVP viel schöner, nur ist zu Hause eben immer der Kühlschrank gefüllt.

Und jetzt genießen wir weiter die sommerlich-irrelevante Zwergenshow. Notfalls übernehmen bei Bedarf täglich Peter Pilz und Kolleginnen.

rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.07.2018)

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