Erdoğans Achillesferse

Das autokratische System Recep Tayyip Erdoğans stößt an seine Grenzen.
Das autokratische System Recep Tayyip Erdoğans stößt an seine Grenzen. REUTERS
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Die Türkei ist wirtschaftlich hochgradig vom Westen abhängig. Das zeigt sich in der Währungskrise, für die Präsident Erdoğan mit seiner törichten Voodoo-Ökonomie selbst verantwortlich ist.

Das autokratische System Recep Tayyip Erdoğans stößt an seine Grenzen. So üppig die neue Machtfülle des türkischen Präsidenten sein mag, die Gesetze der Ökonomie kann auch er nicht außer Kraft setzen. Sein Appell an die Bürger, Dollar, Euro und Gold in Türkische Lira umzutauschen, gleicht einem Aufruf zur Geldvernichtung. Niemand, der bei Trost ist, wird darauf hören und sein Vermögen schlachten, nur weil der Sultan von Ankara sich einbildet, in einen Wirtschaftskrieg ziehen zu müssen.

Um seine Verantwortung zu vernebeln, schürt Erdoğan gern Verschwörungstheorien über ausländische Mächte. Doch er ist selbst schuld an der Währungskrise. Die türkische Wirtschaft zeigt seit Monaten Zeichen der Überhitzung. Die Inflation ist auf 16 Prozent hochgaloppiert. Längst hätte die Zentralbank den Leitzins kräftig anheben müssen. Doch Erdoğan erklärte Zinsen zu „Vater und Mutter allen Übels“, kündigte Zugriff auf die Geldpolitik an und setzte dann auch noch seinen Schwiegersohn als Finanzminister ein. Das hat die internationalen Märkte nur noch nervöser gemacht. Und da ist die Achillesferse Erdoğans: Staat, Banken und Firmen sind auf ausländische Geldgeber angewiesen, um ihre Dollarschulden zu refinanzieren, die umso höher steigen, je tiefer die Lira sinkt. Seit Anfang des Jahres hat die türkische Währung 40 Prozent verloren, Kapital ist in Strömen vom Bosporus abgeflossen.


Eiskalter Trump. Sich in einer solchen heiklen Situation mit US-Präsident Trump anzulegen war keine so prächtige Idee. Seit 2016 hält die Türkei einen US-Pastor und andere Amerikaner als Faustpfand fest, um sie gegen den in Pennsylvania lebenden mutmaßlichen Drahtzieher des Putschversuchs, Fethullah Gülen, auszutauschen. Eine erpresserische Geiselnahme, die so weit von rechtsstaatlichem Denken entfernt ist wie Richard Löwenherz vom 21. Jahrhundert. In diesem würdelosen Tauziehen verschärfte Trump nun eiskalt die türkische Wirtschaftskrise. Erst verhängte er Sanktionen gegen den Innen- und den Justizminister der Türkei, am Freitag verdoppelte er die Zölle auf Stahl- und Aluminiumimporte.

Hilfe unter Nato-Freunden sieht anders aus. In der „New York Times“ drohte Erdoğan nun, sich nach anderen Partnern umzusehen. Er hat längst damit begonnen und russische Luftabwehrraketen bestellt, ein Affront gegen die Nato. Auch in Nahost ziehen die Türkei und die USA in entgegengesetzte Richtungen. Für die Türken sind die Kurden in Syrien Feinde, für die Amerikaner Verbündete. Dem Iran half eine türkische Bank zum Ärger Washingtons, Sanktionen zu umgehen.

Erdoğan führt sein Land seit Jahren aus dem westlichen Orbit, politisch und ideologisch. In der neuen Weltordnung sieht er die Türkei als dominante Regionalmacht im Nahen Osten. Doch Erdoğan überreizt sein Blatt. Denn die Türkei bleibt handels- und finanzpolitisch vorläufig an den Westen gekettet. Der Herrscher von Ankara wird daraus seine Lehren ziehen und versuchen, die Abhängigkeit zu reduzieren. Das könnte ihn in die Arme Chinas treiben. Mit Voodoo-Ökonomie wird die Türkei allerdings in keiner geopolitischen Konstellation weit kommen.

christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.08.2018)

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