Macron gegen Orbán: Die Chancen und Gefahren einer Zuspitzung

Proeuropäer gegen Nationalisten? Die Klärung der ideologischen Fronten vor der Europawahl 2019 klingt einfacher, als sie es in der politischen Praxis ist.

Das Europaparlament ist ein unerfülltes Versprechen der europäischen Einigung. Seit vier Jahrzehnten werden seine Abgeordneten direkt von den Völkern gewählt, doch von Mal zu Mal sinkt deren Begeisterung. Gerade einmal 43 Prozent betrug die Wahlbeteiligung vor vier Jahren. Bibliotheken lassen sich bereits mit gelehrten Abhandlungen darüber füllen, weshalb die Europäer sich für diese einzige direkt gewählte Institution ihrer Union nicht so recht erwärmen wollen. Einer der Hauptgründe mag darin liegen, dass diese Abgeordnetenversammlung keine europäische Regierung kontrolliert und keine eigenen Gesetzesvorschläge formulieren kann.

Spricht man Europaabgeordnete auf dieses Manko an, replizieren sie stolz, ihre Kammer sei eben im Gegensatz zu den nationalen Volksvertretungen ein „Arbeitsparlament“, in dem über die Fraktionsgrenzen hinweg europäisches Recht geschaffen wird. Kritisch betrachtet jedoch hat diese parteipolitische Ökumene dazu geführt, dass das Geschehen in den Ausschüssen und dem Plenum in Brüssel und Straßburg kartellhaft von den beiden traditionellen Großparteien kontrolliert wird, der Europäischen Volkspartei und den Sozialdemokraten.


Bricht diese Balance, die sich vor allem in der naturgesetzhaften Weise offenbart, wonach auf einen roten Parlamentspräsidenten stets ein schwarzer zu folgen hat? Die nächste Europawahl, vom 23. bis 26.Mai.2019, wird es weisen. Einiges spricht dafür, dass sich der politische Wandel in Europa, der altehrwürdige Volksparteien zusammenbrechen und agile neue Bewegungen aufstreben sieht, auch in der Zusammensetzung der neuen Vollversammlung abzeichnen wird. Die neuen politischen Fronten verlaufen nicht mehr zwischen links und rechts, vielmehr zwischen oben und unten, zwischen Zentrum und Peripherie, zwischen jenen, die von der Union profitieren, und jenen, die sich abgehängt fühlen oder ihren Gram über die Globalisierung auf „Brüssel“ projizieren.

Am Mittwoch konnte man eine Klärung der weltanschaulichen Fronten beobachten, entlang derer um die Gunst der Bürger geworben werden dürfte. „Ich werde mich vor den Nationalisten und und jenen, die Hass predigen, nicht zurückziehen“, sagte der Präsident Frankreichs, Emmanuel Macron. „Wenn sie mich als ihren Hauptgegner sehen, haben sie recht.“ Er kommentierte damit die gegen ihn gerichteten Anwürfe von Ungarns Ministerpräsidenten, Viktor Orbán, und Italiens Innenminister, Matteo Salvini, die sich Blutsbrüderschaft und Macron Feindschaft geschworen hatten. Frankreichs Außenminister, Jean-Yves Le Drian, legte nach: Frankreich sei nicht mehr bereit, für jene Mitgliedstaaten zu zahlen, die „die Grundprinzipien der Union nicht respektieren“.

Proeuropäer gegen Nationalisten: So eine klare Beschreibung dessen, worum es geht, wenn man sein Kreuz bei der Europawahl macht, hat es noch nie gegeben. Das ist einerseits begrüßenswert, denn je klarer die politischen Haltungen, desto einfacher sollte es den Bürgern sein, sich für diese oder jene zu entscheiden. Doch diese Polarisierung trägt auch Gefahren in sich. Die Union fußt auf der aus zwei Weltkriegen gewonnenen Lehre, dass ohne Kompromissbereitschaft weder Friede noch Wohlstand möglich ist. Der Ärger und die Besorgnis über die nonchalante Gleichschaltung der Justiz in Polen, über die perfiden Schikanen gegen Oppositionelle und die Zivilgesellschaft in Ungarn sind berechtigt. Doch alle Polen und Ungarn durch den Entzug von EU-Förderungen zu strafen, würde das verbreitete Gefühl, vom Westen bloß als Europäer zweiter Klasse angesehen zu werden, vertiefen. Genau diese Kränkung spielt wiederum ins chauvinistische Kampagnenbuch von Parteien wie PiS und Fidesz.

Um an den Einwand zu erinnern, den Johannes Paul II. vor 30 Jahren im Europaparlament formuliert hat: Europa muss mit beiden Lungenflügeln atmen, dem im Westen und dem im Osten. Heute müsste man hinzufügen: jenem der Metropolen und jenem der Peripherien. Das ist große Staatskunst – und entscheidend für Europas Wohl.

E-Mails an: oliver.grimm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.08.2018)

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