Was Manfred Weber und Deng Xiaoping gemein haben

(c) APA/AFP/EMMANUEL DUNAND
  • Drucken

Deutschland war stets darauf bedacht, seinen Einfluss auf die EU zu kaschieren. Webers Kandidatur macht diesen Einfluss zum Thema des EU-Wahlkampfs.

Wer Manfred Weber kennt, weiß, dass der Vorsitzende der EVP-Fraktion im Europaparlament seine Worte auf die Goldwaage legt und kein Mann der politischen Hüftschüsse ist. Aufgrund dieser Persönlichkeitsstruktur ist davon auszugehen, dass der CSU-Politiker seinen Wunsch, EVP-Kandidat für den Posten des EU-Kommissionspräsidenten zu werden, erstens gründlich durchdacht und zweitens mit Berlin abgesprochen hat. Weber wirft seinen Hut mit Angela Merkels Segen in den Ring – und eröffnet damit das Match um die Neubesetzung des Brüsseler Postens, der im Herbst 2019 vakant wird.

An dieser Stelle tauchen unweigerlich zwei Fragen auf: Was will Manfred Weber? Und was Angela Merkel? Dass Weber als Berufspolitiker nach mehr politischen Gestaltungsmöglichkeiten strebt, liegt in der Natur der Sache. Und in der EU liegt das Initiativrecht bei der Brüsseler Behörde. Per Twitter malte der Spitzenkandidat in spe das düstere Bild eines Kontinents, der „von innen und außen angegriffen“ wird und dessen „Lebensstil“ auf dem Spiel steht. Wie genau Weber dieses europäische Savoir-vivre verteidigen will, verriet er nicht – was angesichts der Tatsache, dass der Europawahlkampf noch lang nicht begonnen hat, auch nicht zu erwarten war. Die Zeit, Versprechen mit Substanz zu füllen, wird noch kommen.

Bleibt somit Frage Nummer zwei: Welche Vorteile verspricht sich die Bundeskanzlerin aus der Kandidatur ihres Landsmanns? Es ist nicht davon auszugehen, dass Merkel ihre Einladung an Weber leichtfertig ausgesprochen hat – die Europawahl ist schließlich keine Tanzveranstaltung, bei der man seine Gästeliste nach Lust und Laune zusammenstellen kann, ohne an politische Konsequenzen denken zu müssen. Nun verlassen wir den festen Boden der belastbaren Fakten und betreten den Sumpf der Spekulation.

In diesem Feuchtgebiet blühen naturgemäß unzählige Theorien. Eine mögliche Erklärung für die Unterstützung der CDU-Vorsitzenden Merkel ist der Zustand der CSU. Die Christlichsozialen werden in Bayern von rechts von der AfD angeknabbert und suchen hyperventilierend nach einem Mittel gegen die populistische Konkurrenz. Aus dieser Perspektive betrachtet erscheint die Kandidatur als Trostpreis, um die CSU nach der sich abzeichnenden Niederlage bei der bevorstehenden Landtagswahl bei der Stange zu halten.

Ein anderer, etwas komplizierter Erklärungsversuch deutet die Entscheidung als Zug im deutsch-französischen Schachspiel. Nachdem nicht davon auszugehen ist, dass Staatschef Emmanuel Macron keinen eigenen Kandidaten für den Posten des Kommissionspräsidenten ins Rennen schickt, könnte Merkel nach langem Feilschen ihre Unterstützung für Weber zurückziehen und sich im Gegenzug inhaltliche Zugeständnisse Frankreichs sichern – etwa bei der Reform der Eurozone oder der Ausgestaltung der Bankenunion.

Und was ist mit der naheliegendsten Erklärung, der zufolge es schlicht und ergreifend um Berlins Einfluss auf die EU-Kommission geht? Sie hat ihren Charme, aber auch Schwachstellen. So ist dieser Einfluss schon jetzt groß – der Schlüsselposten des Generalsekretärs der Brüsseler Behörde wird beispielsweise von einem Deutschen bekleidet. Die Inthronisierung Webers würde die Aufmerksamkeit der restlichen Europäer auf ebendiese starke Rolle Deutschlands lenken und zum Wahlkampfthema machen. Außerdem agieren die Deutschen für gewöhnlich nach der Devise des chinesischen KP-Chefs, Deng Xiaoping: „Es ist egal, ob eine Katze schwarz oder weiß ist. Hauptsache, sie fängt Mäuse.“

Ein EU-Amtsträger muss demnach kein Deutscher sein, um deutsche Positionen zu vertreten. Der Italiener Mario Draghi verfolgt als EZB-Chef eine berechenbare, grosso modo an den Interessen der größten EU-Volkswirtschaft orientierte Geldpolitik. Auch der Luxemburger Jean-Claude Juncker hat als Kommissionspräsident stets ein offenes Ohr für deutsche Anliegen. Im Rennen um Junckers Nachfolge gibt es zahlreiche potenzielle Interessenten, die ähnlich ticken wie Merkel – und das ganz ohne deutschen Pass. Und ohne irritierendes Rampenlicht.

E-Mails an: michael.laczynski@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.09.2018)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Manfred Weber: "Wir können so nicht weitermachen."
Europa

Weber eröffnet Rennen um Juncker-Nachfolge

Der CSU-Politiker möchte nächster Präsident der Europäischen Kommission werden. Aber es ist ein langer Weg bis dorthin – mit vielen Mitbewerbern.
Manfred Weber
Außenpolitik

"Wir können so nicht weitermachen": Weber will EU-Kommissionschef werden

"Ich kann es nicht erlauben, dass die EU innerlich gespalten ist", sagte EVP-Fraktionschef Manfred Weber. Er bewirbt sich für die EVP-Spitzenkandidatur.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.