In der Finanzkrise ersetzten Politiker verlorenes Vertrauen durch Garantien. Als Populisten könnten sie heute selbst Krisen auslösen – oder verstärken.
Zehn Jahre sind eine lange Zeit. Die Lehman-Pleite, die Kettenreaktion, das Finanzsystem am Rand des Kollaps: Das liest sich heute, mit wohligem Gruseln, wie ein sagenhaft spannender Thriller. Damals sorgte es für Ängste, ja Panik. Die sich überstürzenden Ereignisse zogen den Boden unter den Füßen weg. Sie provozierten bohrende Fragen: Ist unser Wirtschaftsmodell statt auf stetig wachsendem Wohlstand nur auf Sand gebaut? Hat sich der Finanzkapitalismus unserer Kontrolle entzogen wie ein überhitzter Atomreaktor? Freilich: Hätte man standhaft auf den Konsum von Medien verzichtet, wäre einem wenig aufgefallen. Die Kernschmelze fand nicht statt. Die realwirtschaftliche Rezession war nur kurz. Auch die Eurokrise ist, wenn auch sehr spät, überwunden. Krisenländer erzählen Erfolgsgeschichten. Es ist also etwas gelungen. Würde es heute wieder gelingen?
Die Frage stellt sich, mit weit weniger wohligem Gruseln, weil ein Remake gut möglich ist. Die Schuldenberge sind dramatisch gestiegen. Für die USA lassen sich irritierende Parallelen nachzeichnen: Eine schon verdächtig lange Hochkonjunktur wird künstlich weiter unter Volldampf gehalten – damals durch Kredite an nicht kreditwürdige Hauskäufer, heute durch eine nicht gegenfinanzierte Steuerreform, die das staatliche Defizit aufbläht.
Immerhin: Das Finanzsystem hat sich gewandelt. Die Banken stehen auf einem viel solideren Fundament, durch mehr Eigenkapital und höhere Liquiditätspuffer. Sie werden streng überwacht. Das Risikomanagement hat sich vom Stiefkind zur zentralen Funktion gemausert. Boni sind nicht mehr an kurzfristige Erfolge gekoppelt. Man baut Dämme, Bollwerke, Feuermauern. Im Stillen, abseits der Öffentlichkeit. Wer weiß schon, was sich in so opaken Foren wie dem Baseler Bankenausschuss oder dem Financial Stability Board tut? Jedenfalls werken dort – man wagt es kaum zu sagen – Eliten, kraft ihrer Kompetenz in komplexen Themen.
Aber nein, wir stimmen kein Loblied auf die Technokraten an, die über die Köpfe der Bürger hinweg die einzig rationale Lösung wählen. Man täusche sich nicht: Es waren die rationalen Marktmechanismen, die versagten, weil ein menschliches Schmiermittel austrocknete: Vertrauen. Und es waren Politiker, die dieses Vertrauen mit hohem Einsatz ersetzen mussten, durch Garantien, Kapitalspritzen, Rettungsschirme.
Nur anfangs agierte die Exekutive als Feuerwehr. Rasch setzte eine breite Debatte ein: Was ist zu ändern? Und später, in der Eurokrise: Wie weit muss die Solidarität gehen? Da vertieften sich auch deutsche Abgeordnete und Höchstrichter in die ihnen fremde Materie. Die Mächtigen – ob Bush, Obama oder Merkel – gaben grobe Linien vor und vertrauten für die Umsetzung den Experten und Notenbankern. Und sie stärkten die Kooperation untereinander, im Rahmen der G20, weil Krisenprävention nur über alle Grenzen hinweg reüssieren kann.
Man merkt: Hier schwingt Nostalgie mit. Heute geben Populisten den Ton an, ob sie an der Macht sind oder nur die Themen diktieren – von A wie Ausländer bis Z wie Zuwanderung. Sie setzen auf nationale Identität und Größe. Der vielstimmige Chor muss der „Stimme des Volkes“ weichen. Wer nicht dazugehört, ist zum Feind gestempelt.
Früheren Partnern wird ein Krieg der Worte und Zölle erklärt, siehe Amerika. Gemeinsam fixierte Regeln werden höhnisch aufgekündigt, siehe Italien. Biedere Notenbanker werden zu Helden, nur weil sie (noch) dem Druck eines Autokraten standhalten, siehe Türkei. Damit erodiert das Vertrauen, diesmal aufseiten der Politik. Glaubt jemand ernsthaft, ein Donald Trump könnte über Twitter für Beruhigung sorgen, wenn ein Crash droht? Dass er nicht sofort seinen Finanzminister feuert, wenn der „Basis“ eine unpopuläre Maßnahme nicht passt? Oder dass sich die EU-Staaten im Krisenfall noch vertrauensvoll abstimmen können, obwohl in Polen, Ungarn und wer weiß, wo bald noch, der Rechtsstaat bröckelt? Wir wissen heute nicht, wann und von wo eine neue Krise auf uns zukommt. Wenn wir ehrlich sind: Wir wissen es nie. Aber fest steht: Mit Populisten ist sie nicht zu meistern. Da war die „Gier der Banker“ noch leichter zu zügeln.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.09.2018)