Die paradoxe Intervention des Christian Kern

Archivbild: Damals noch als Bundeskanzler präsentierte Christian Kern seinen "Plan A".
Archivbild: Damals noch als Bundeskanzler präsentierte Christian Kern seinen "Plan A".APA/BARBARA GINDL
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Sein Versprechen, zehn Jahre in Österreichs Politik zu bleiben, war ein leeres: Christian Kern, Ex-Hoffnung der SPÖ, will ins Europaparlament wechseln.

Der Verlauf seiner Kür war amateurhaft und alles andere als ein perfekter Wahlkampfauftakt. Doch immerhin, den Überraschungsmoment, den hatte er bei sich. Christian Kern will also ins Europaparlament wechseln, als Spitzenkandidat der europäischen Sozialdemokraten ins Rennen gehen. Sein Versprechen, zehn Jahre in Österreichs Politik zu bleiben, war damit ein leeres. Aber immerhin, es ist nicht der Abgang, mit dem man gerechnet hatte. Schon war der antrainierte „De mortuis nihil nisi bene“-Reflex fast aller Medien in Bereitschaft, über die Zurücktretenden nur Gutes oder eben nichts Schlechtes zu schreiben. So wurde aus Reinhold Mitterlehner der schwarze Partisan im heldenhaften Widerstand gegen die türkisen Jungtürken, aus Eva Glawischnig die Karrierefrau, die sich für die Familie und gegen die Medien entscheidet, und aus Matthias Strolz eine Art spätberufener Robbie Williams für sinnsuchende Städter(innen). Das entsprach zwar nie der Realität, aber zum Abschied ist das Echo endlich gnädig.

Aber eigentlich müssten wir mit der Tradition des freundlichen Abschiednehmens brechen: Mitterlehner kam seinem logischen Ende in der Politik nur zuvor, Glawischnig hat mit ihrem Abgang das Ende der Grünen (mit)besiegelt, Strolz stellt sein Ego sicher nicht unter das Wohl seiner noch verletzlichen Kleinpartei.

Kern vollzieht seinen Rücktritt auf Raten so, wie er den Wahlkampf seiner Partei und die Rolle als Oppositionschef ausführte: amateurhaft. So kurz vor einem geplanten Parteitag ohne Nachfolgeregelung vom Feld zu gehen, wäre sogar in der lang andauernden ÖVP-Ära der internen Intrigen ein schwarzer Affront gegen die eigene Partei gewesen. Nein, so macht man das nicht, so nachvollziehbar der Schritt auch ist.

Und ja, es ist aus vielen Gründen schade, traurig und vor allem auch ein böser Präzedenzfall, dass Christian Kern als SPÖ-Chef in Österreich gescheitert ist. Der schnelle Aufstieg des ÖBB-Vorstandsvorsitzenden zum Retter der Sozialdemokratie und des ganzen Landes brachte nicht wenige Journalisten und Beobachter ernsthaft dazu, von einem österreichischen Barack Obama zu sprechen und auch zu schreiben. Beobachtete man seine Leadershipqualitäten, war der Lack bald wieder ab, zu gering war seine Hausmacht in der Partei. Vor rund einem Jahr wurde der Politikberater Tal Silberstein wegen einer möglichen Verwicklung in einen Korruptionsfall verhaftet und verhört. Zu diesem Zeitpunkt war er seit Monaten der wichtigste Wahlkampfberater von Kern, der ihn daraufhin absetzen musste.

Auch danach begleiteten Kerns Kampagne Pech und Fehler. Er verlor als erster SPÖ-Bundeskanzler gegen einen ÖVP-Spitzenkandidaten bei einer Wahl. Gegen einen 30-jährigen Nichtakademiker und Chef der Jungen ÖVP. Nach der Niederlage kam Christian Kern als Oppositionschef erst zuletzt in die Gänge, als er Umweltthemen für sich entdeckte – und die türkis-blaue Regierung unter Kurz und Strache dann doch ein bisschen Sand im Getriebe spürte.

Und nun also der Rückzug. Immerhin, mit einer gewissen Gnadenfrist – er lässt die Partei nicht ganz allein im Regen stehen, ehe er den Weg in Richtung Europaparlament in Brüssel einschlägt. Doch schon in wenigen Monaten kann die SPÖ nicht mehr auf ihn zählen. Ist das professionell?

Stimmt schon, Doris Bures hat einmal gesagt, Kern sei einfach kein Politiker. Und vielleicht hat sie das keineswegs als Beleidigung formuliert. Vielleicht war er zu sensibel, zu sehr von sich überzeugt und vor allem zu sehr die CEO-Rolle gewöhnt. Aber wenn die Konsequenz aus dem Kern-Abgang in Richtung Europa nun darin besteht, dass die SPÖ ins Gegenteil fällt, also auf grobe Politikhandwerker aus der Gewerkschaft oder Populismuskönner aus Bundesländern setzt, wäre dies für eine moderne Sozialdemokratie kein Fortschritt.

Ex-Gesundheitsministerin Pamela Rendi-Wagner könnte eine klare personelle Gegenpositionierung zu Türkis-Blau sein. Vielleicht wächst sie ja in die Rolle, die Kern nur spielte.

E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

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