Die Regierung soll regieren, Löhne verhandeln sollen die Sozialpartner

Pressekonferenz zur Sozialversicherungsreform.
Pressekonferenz zur Sozialversicherungsreform.(c) APA/HERBERT NEUBAUER
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Inhaltlich mag der jüngste Kommentar der Regierung zur Lohnrunde nachvollziehbar sein. Taktisch sowieso. Dennoch ist er ein unnötiger Tabubruch.

Auf den ersten Blick ist es nur eine harmlose Empfehlung zur Lohnrunde. So forderten Bundeskanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Heinz-Christian Strache am Wochenende in einer gemeinsamen Aussendung die Sozialpartner dazu auf, „sicherzustellen, dass die Arbeitnehmer von der guten wirtschaftlichen Entwicklung profitieren“. Diese solle sich „in den Gehaltsabschlüssen wiederfinden“, indem die Lohnsteigerungen „klar über der Inflation“ liegen.

Aus taktischer Sicht ist dieser ungewöhnliche Kommentar – bis dato galt das ungeschriebene Gesetz, dass sich die Regierung zu den Lohnverhandlungen nicht äußert – absolut verständlich. FPÖ und ÖVP leiden darunter, dass ihre Maßnahmen zur Stärkung des Wirtschaftsstandortes als „unsozial“ gebrandmarkt werden. Vor allem die FPÖ-Wählerschaft ist für die Kritik der Opposition beispielsweise am „Zwölfstundentag“ durchaus empfänglich – wie auch entsprechende Kommentare etwa auf Straches Facebook-Seite zeigen. Und auch der türkisen Regierungshälfte kann ein bisschen mehr kommunizierte soziale Wärme nicht schaden. Zumal die SPÖ derzeit vor allem mit sich selbst beschäftigt ist und diese Flanke mehr oder weniger offen lässt.

Auch inhaltlich ist die Forderung der Regierungsspitze durchaus nachvollziehbar. Wann, wenn nicht in der Phase einer Hochkonjunktur kann es substanzielle Lohnabschlüsse geben? Viele börsenotierte Konzerne konnten im Halbjahr starke Zahlen vermelden. Und auch bei den meisten Mittelständlern sind die Auftragsbücher derzeit so voll wie schon lang nicht mehr. Zieht man die oft totgesagte, aber immer noch genutzte Benya-Formel heran (Inflation plus Hälfte der Produktivitätssteigerung), dann müsste es heuer ein Lohnplus von spürbar über drei Prozent geben.

Allerdings kommt der Aufruf der Regierung in einer heiklen Phase. So sorgt die Erhöhung der maximalen Tagesarbeitszeit vulgo der Zwölfstundentag bei den Arbeitnehmervertretern ohnehin für das Gefühl, sich bei der Lohnrunde revanchieren zu müssen. Die Folge ist neben einem Forderungspaket zur Arbeitszeit auch das Verlangen nach einer fünfprozentigen Lohnsteigerung – so viel wie seit mehr als zehn Jahren nicht mehr. Von den Arbeitgebern wurde das bereits als „nicht nachvollziehbar“ abgelehnt.

Dass sich die Gewerkschaft trotzdem nicht über die unerwartete Unterstützung durch die Regierung freut, sollte nicht überraschen. Schließlich setzt sie Arbeitnehmer mit Arbeitnehmervertreter gleich und tut sich bei dem Gedanken schwer, dass sich jemand, der die Macht der Gewerkschaft brechen will, trotzdem mehr Geld für Werktätige wünscht. Wenig Freude dürften auch die Arbeitgebervertreter haben. Sie verhalten sich offiziell allerdings still und werden sich bei den handelnden Personen wohl hinter verschlossenen Türen „bedanken“.


Aber auch abseits dieser Partikularinteressen hat die Regierung dem Land mit ihrem Kommentar einen Bärendienst erwiesen. Denn die Aufgaben und Verantwortlichkeiten von Regierung und Sozialpartnern wurden in Österreich schon viel zu lang vermischt.

Dass Vertreter von Arbeitgebern und Arbeitnehmern bei Themen wie Gesundheitssystem, Bildung oder Pensionen immer ein entscheidendes Wörtchen mitzureden haben, mag vielen in Österreich als normales Prozedere vorkommen. Das ist es allerdings nicht. Für die Behandlung dieser Anliegen ist die gewählte Regierung zuständig. Wahlen auf der Ebene einer Kammer sind dafür kein Ersatz. Die demokratische Legitimation dieser früheren Art Schattenregierung war somit nie vorhanden.

Es ist gut, dass die türkis-blaue Koalition beginnt, mit der österreichischen Unsitte aufzuhören, in manchen Bereichen nur noch die Kompromisse der Sozialpartner abzunicken, sondern selbst entscheidet – also im eigentlichen Sinn regiert. Gleichzeitig darf sie aber ihrerseits nicht ihre Kompetenzen überschreiten. Und dazu gehört auf jeden Fall ein Einmischen in die Lohnverhandlungen.

E-Mails an:jakob.zirm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.09.2018)

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