Türkis, Blau, Weiß-Blau: Über die Konsequenz des Populismus

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CSU-Wahlkampf-AbschlusskundgebungAPA/dpa/Sven Hoppe
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Warum die bayrische CSU scheitert, die türkise ÖVP hingegen auf der Erfolgswelle schwimmt: Besser stur bleiben als inkonsistent die Positionen wechseln.

Es mag zynisch klingen, dürfte aber der Wahrheit entsprechen: Populismus will gelernt sein. Ein Jahr nach der Wahl stehen die österreichischen Regierungsparteien in so gut wie allen Umfragen eher besser als schlechter da. Am kommenden Sonntag hingegen wird in Bayern die CSU eine mehr oder weniger schwere Niederlage erleiden, monatelang haben die Herren an deren Spitze versucht, Anleihen bei Sebastian Kurz zu nehmen, also die amtierende CDU-Chefin hier ein bisschen unter Druck zu setzen und dort die noch immer einigermaßen liberale Flüchtlingspolitik des Landes zu ändern.

Horst Seehofer und Markus Söder zeigten eindrücklich, wie das nicht geht: Mit halbherziger Strategie begaben sie sich auf einen dilettantisch vorbereiteten Zickzackkurs. Sie können nur noch hoffen, dass die veröffentlichte Häme aller deutschen Zeitungen eine kleine Gegenreaktion abgesprungener Wähler auslöst. Also eine Art kleiner Mitleidseffekt, wie ihn die ÖVP vor einigen Jahren immer wieder erleben durfte. Dieser wird die CSU aber auch nicht retten.

In Österreich reichten Sebastian Kurz 30 Prozent plus und regierungswillige Freiheitliche. In Bayern wird das 40 minus wohl zum einen oder anderen Rücktritt führen. Danach gibt es mit Schwarz-Grün die Chance, das Land mit Lederhose, Laptop und Ökologie neu aufzuladen. Natürlich wird in dieser Konstellation die Flüchtlingspolitik die Bruchlinie bilden.

Andererseits ist die Linie längst vorgegeben und klar: Wie Österreich war Bayern vom Flüchtlingszug massiv betroffen – sowohl als Transit- als auch als Zielland. Bayern hat schnell zu kontrollieren begonnen. Wenn an einer geografischen Stelle der Traum vom grenzen- und staulosen Raum geplatzt ist, dann an der Grenze vor dem deutschen Eck. Sollte diese Politik von den Grünen akzeptiert werden und die Rhetorik der CSU milder werden, steht einer Zusammenarbeit nichts im Weg – vor allem keine renitente FDP wie bei den Jamaika-Verhandlungen in Berlin.

Was aber eben das zentrale Erfolgsrezept des Sebastian Kurz ist: Er bleibt konsequent auf dem eingeschlagenen Weg und beim mit dem Koalitionspartner Ausverhandelten – selbst wenn es wie in der Frage des Nichtrauchervolksbegehrens inhaltlich und demokratiepolitisch unvernünftig ist. Die simple These, dass der andauerende öffentlich ausgetragene Streit einer der Gründe für das miese Ansehen der Koalition aus SPÖ und ÖVP war und somit zelebrierte Harmonie bei den Wählern gut ankommt, scheint tatsächlich zu stimmen.

Oder anders: Menschen, die sich stark für Politik interessieren, schätzen auch (inhaltliche!) Debatten, die schon einmal heftiger werden können. Die, für die Politik keinen großen Stellenwert hat, wollen möglichst wenig damit behelligt werden, tendenziell weniger Steuer zahlen, sicher leben und das Gefühl haben, dass gearbeitet wird: Dem gerecht zu werden scheint das Hauptanliegen der Regierung zu sein. Ist das große Politik? Nein. Aber es funktioniert.

Doch zurück zum Populismus: Ist das nun eine rechtspopulistische Regierung, wie Kritiker sie gern verallgemeinernd bezeichnen? Eine der vielen in Bibliotheken zu findenden Definitionen beschreibt Populismus als eine „von Opportunismus geprägte, volksnahe, oft demagogische Politik, die das Ziel hat, durch Dramatisierung der politischen Lage die Gunst der Massen (im Hinblick auf Wahlen) zu gewinnen“. Damit wäre so ziemlich jede Regierung der vergangenen Jahrzehnte in Europa populistisch, selbst bei Angela Merkel fehlte meist nur das demagogische Element.

Nein, Populisten sind sie wohl alle, die Spitzenkandidaten, man kann sie nur klassisch in links (Tsipras) und rechts (Strache), moralisch in nett (Macron) und böse (Salvini) oder erfolgreich (Kurz) und erfolglos (Kern) einteilen. Schade, dass ein anderes Populismusgenre nicht mehr in Verwendung ist. Populismus war auch eine literarische Richtung des 20. Jahrhunderts, die bestrebt war, das Leben des einfachen Volkes in realistischem Stil ohne idealisierende Verzerrungen zu schildern.

Das wär doch mal was. Auch für die heutige Rede zur Lage der Nation von Sebastian Kurz.

E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.10.2018)

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