Es wird für Angela Merkel langsam Zeit zu gehen

Nach 18 Jahren an der Parteispitze, nach 13 Jahren im Kanzleramt läuft die Zeit von Merkel ab.
Nach 18 Jahren an der Parteispitze, nach 13 Jahren im Kanzleramt läuft die Zeit von Merkel ab. APA/AFP/TOBIAS SCHWARZ
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Die kraft- und ideenlose Große Koalition erweist Deutschland keinen Dienst, wenn sie sich in dieser Besetzung noch drei Jahre weiterschleppt.

Vor einem halben Jahr erst nahm das Kabinett Merkel IV seine Arbeit auf. Es fühlt sich an wie eine Ewigkeit. Denn alt sah die Große Koalition, dieses ungewünschte Kind, schon bei ihrer Geburt aus. Darüber konnte auch das bemühte Motto auf ihrem Taufschein nicht hinwegtäuschen. „Ein neuer Aufbruch für Europa, eine neue Dynamik für Deutschland“, prangte auf dem Deckblatt des Vertrags zwischen CDU, CSU und SPD. Die Beschwörungsformel überzeugte schon damals wohl nicht einmal die Unterzeichner. Die Koalition, in die sich die SPD nach dem Platzen der Verhandlungen über ein schwarz-grün-gelbes Jamaika-Bündnis vom Staatsoberhaupt abwärts prügeln ließ, zeigte bereits am Start Ermattungserscheinungen, siebeneinhalb Monate später ist sie einem Ermüdungsbruch nahe. Man fragt sich, ob und wie sich diese waidwunde Truppe der Kraft-, Saft- und Ideenlosen bis zum Ende der Legislaturperiode 2021 schleppen soll.

In Umfragen ist Deutschlands Große Koalition zum Kleinformat geschrumpft und brächte nach Neuwahlen womöglich gar keine Regierungsmehrheit mehr zustande. Es ist die Angst vor dem Wähler, die Sozial- und Christdemokraten in ihrem dümpelnden Koalitionsboot eint. Für die SPD ist es ein Totenschiff. Sie verliert und verliert als Kombüsenhilfe von Merkel. Doch es käme einem Selbstmord gleich, wenn die Genossen jetzt kopfüber ins reißende Wählermeer sprängen. Eine vernünftige Führung wird die Mannschaft an Bord halten und darauf hoffen, dass sich irgendwann der Wind dreht.

Allerdings kann es in der Not auch zu einer irrationalen Meuterei kommen. Und die Verzweiflung ist groß. Vor zwei Wochen stürzte die SPD in Bayern unter zehn Prozent und damit in die Bedeutungslosigkeit. Am Sonntag blüht ihr bei der Landtagswahl in Hessen ein Debakel, ein Abrutschen von 31 auf 20 Prozent, vielleicht sogar hinter die Grünen. Vorsorglich warnte SPD-Chefin Andrea Nahles davor, den Urnengang zur Schicksalswahl für sie, ihre Partei und die Große Koalition hochzujazzen. Auch die CDU-Vorsitzende, Angela Merkel, riet ab, „jede Landtagswahl zu einer kleinen Bundestagswahl zu stilisieren“. Doch der Druck auf sie wird steigen, wenn nicht einmal eine Verdopplung des grünen Koalitionspartners die Verluste der CDU in Hessen aufwiegen und Volker Bouffier seinen Ministerpräsidentenposten verlieren sollte.

Selbst dann kann es der Teflon-Kanzlerin gelingen, den Deckel draufzuhalten. Leicht aber wird das nicht. Denn es brodelt in allen drei Parteien der Bundesregierung, nicht nur in der hypernervösen SPD und der CSU, in der alle nur mehr darauf warten, dass Parteichef und Innenminister Horst Seehofer seinen Altersstarrsinn überwindet und freiwillig vom Hof geht. Auch in der CDU ist die Chefin nicht mehr „unbestritten“, wie es ihr alter Rivale und Weggefährte Wolfgang Schäuble sibyllinisch ausdrückte.

Nach 18 Jahren an der Parteispitze, nach 13 Jahren im Kanzleramt läuft die Zeit von Merkel ab. Sie hat viel geleistet für ihre Partei und ihr Land, vor allem wirtschaftspolitisch. Doch sie hat ihren Zenit überschritten. Das Jahr 2015 hängt ihr nach. Merkel hat damals nicht nur einer Million Flüchtlinge die Tür geöffnet, sondern auch der rechtspopulistischen AfD, die sich nun etabliert. „Wenn wir uns den Rest des Jahrzehnts damit beschäftigen wollen, was 2015 vielleicht so oder so gelaufen ist, und damit die Zeit verplempern, dann werden wir den Rang als Volkspartei verlieren“, rief Merkel neulich ihren Anhängern zu.

Damit könnte sie recht haben, doch es ist eine halbe Analyse. Die Erinnerung an 2015 kann erst verblassen, wenn Merkel geht. So entzöge sie der AfD mit einem Schlag deren einigendes Feindbild und erwiese ihrem Land einen letzten großen Dienst. Denn die versprochene „neue Dynamik für Deutschland“ ist nur ohne Merkel möglich.

Und dann? Es gäbe drei Optionen: eine Fortsetzung der lahmen Großen Koalition unter einer neuen Führung, einen fliegenden Wechsel zu einer Jamaika-Koalition (nur warum sollten die Grünen angesichts ihrer Umfragewerte zustimmen?) oder – die sauberste Variante – Neuwahlen. Nur Mut, Angela Merkel. Nur Mut, Deutschland.

E-Mails an: christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.10.2018)

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