Die Streiks sind eine Folge der Schwäche der Sozialpartner

Themenbild: Lohnverhandlungen der Metaller
Themenbild: Lohnverhandlungen der Metaller(c) APA/HANS KLAUS TECHT
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Dass Kammern und Gewerkschaft an Einfluss verlieren, ermöglicht mehr Demokratie. Aber bei Lohnverhandlungen muss die Politik draußen bleiben.

Die Frage drängt sich auf: Worüber reden eigentlich Lohnverhandler 50 Stunden lang? – so wie heuer bisher die Metaller. Am Ende soll doch nur eine Zahl rauskommen: die Lohnerhöhung in Prozent, abhängig von Inflation, Produktivitätsfortschritt, Wachstumsaussichten. Da könnten sie doch, meint der Laie, in fünf Minuten fertig sein. Stattdessen: wochenlang grimmige Drohungen, Abbrüche und neue Anläufe. Schließlich eine Nachtsitzung mit versöhnlichem Ausklang, Würstel, Bier und einer „vernünftigen Lösung, mit der beide Seiten leben können“. Aber die lieb gewordenen Rituale sind passé: Es gibt Streik, erstmals seit 2011. Wenn auch vorerst nur stundenweise von Montag bis Mittwoch. Aber das Klima wirkt vergiftet, wenn sich Gewerkschafter Rainer Wimmer „verarscht“ fühlt und ihm Arbeitgebervertreter Christian Knill im Gegenzug „inakzeptable Unwahrheiten“, „schlechten Stil“ und „aggressive Sprache“ vorwirft. Wie ist es so weit gekommen?
Die Metallergewerkschafter beteuern, es ginge ihnen nur um die Sache. Aber da hat ihnen ihre eigene Dachorganisation einen Strich durch die Argumentation gemacht. Schon vor Start der Verhandlungen rief die ÖGB-Spitze einen „heißen Herbst“ aus. Und meinte damit: eine Abrechnung mit der als unsozial empfundenen Politik der türkis-blauen Regierung, vor allem mit dem Zwölf-Stunden-Tag. Bei diesem Gesetz hatten Gewerkschaften und Arbeiterkammer nichts mitzureden, und jetzt wollen sie sich rächen. Auch dafür, dass sie durch die Reform der Sozialversicherung Einfluss verlieren. Hinter der aufgeheizten Stimmung steckt der Machtverlust der Sozialpartner insgesamt.


Ihn haben sie sich freilich selbst eingebrockt. Die Vorgängerregierung hat ihnen in traditioneller Manier die Aufgabe übertragen, die Arbeitszeit zu flexibilisieren. Daran sind sie spektakulär gescheitert: Auch viele Monate Verhandlung führten zu keiner Einigung, die Gewerkschaft schaltete auf Wahlkampfmodus. Es ist der Politik nicht zu verdenken, wenn sie in dieses Machtvakuum vorstößt. Die SPÖ beschloss, kurz vor den Wahlen, mit den Stimmen der FPÖ die Angleichung von Arbeitern und Angestellten. Die ÖVP zahlte es ihr heuer mit dem Arbeitszeitgesetz heim. Die Sozialpartner können nur zuschauen, wie ihre alten Forderungen erfüllt oder verworfen werden – und sich allenfalls, wie die Wirtschaftskammer durch ihr Video zum Zwölf-Stunden-Tag, mit peinlichem Triumphgeheul bedanken. Das sorgt für Frust, der sich dann in den Lohnverhandlungen entlädt.

Mit dem Primat der offiziellen Politik ist freilich nur eine Normalität eingekehrt, die Österreich über viele Jahrzehnte nicht gekannt hat. Die Regierungsparteien regieren, dazu haben die Bürger sie gewählt. Der Schattenregierung von Kammern und Gewerkschaft fehlt diese Legitimation. Trotzdem hat sie zu lang bei zu vielen Themen mitentschieden. Die Debatten, der Austausch der Argumente erfolgten hinter verschlossenen Türen statt im Parlament. Jetzt werden Konflikte öffentlich ausgetragen – ein Mehr an Demokratie. Für alle, denen die Gesetze nicht gefallen: Regierungen lassen sich abwählen. Intransparente, verfestigte Strukturen wird ein Land viel schwerer los – wenn sie nicht ihrer eigenen Sklerose erliegen.


Die Sozialpartner sind damit auf ihre ursprüngliche Rolle zurückgestutzt: faire Löhne zu verhandeln und so für sozialen Frieden zu sorgen. Solche Verhandlungen sind bei näherer Betrachtung keineswegs trivial. Welche Daten legt man zugrunde, vergangene oder prognostizierte? Zählt die Produktivität einer Branche oder der Volkswirtschaft? Wie schafft man Spielraum für Firmen, denen es schlechter geht als dem Schnitt? Das sind diffizile Fragen für Fachleute. Hier ist die Klausur berechtigt, hier lohnt langes Brüten. Wie auch bei Notenbankern, die den Leitzins festlegen – eine einzige Zahl, von der so viel abhängt. Und wie Währungshüter sollten auch Lohnverhandler vor Einmischungen aus der Politik geschützt sein. Daran haben sich Kurz und Strache heuer nicht gehalten. Dagegen sollten sich die Sozialpartner wehren, mit geeinter Stimme. So könnten sie sich auch neuen Respekt verschaffen – viel mehr als durch zynische Videos oder trotzige Streiks.

E-Mails an: karl.gaulhofer@diepresse.com

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