Die grüne Bürgerlichkeit

Bundessprecher Werner Kogler und Tirols Landeshauptmann-Stellvertreterin Ingrid Felipe beim grünen Bundeskongress.
Bundessprecher Werner Kogler und Tirols Landeshauptmann-Stellvertreterin Ingrid Felipe beim grünen Bundeskongress.APA/GEORG HOCHMUTH
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Hauptsache, gut gelaunt? Die Grünen haben ihre Stoßrichtung für den Neustart festgelegt. Sie wollen – wenig überraschend – wie die deutschen Nachbarn sein, aber vor allem auch sehr viel auf einmal.

Warum liest man nichts von den Grünen? Auf solche Journalistenfragen antwortet der neue Grünen-Chef, Werner Kogler, mit: „Vielleicht, weil Sie nichts schreiben.“

Bei allem Verständnis für den Verdruss der außerparlamentarischen Opposition: Vielleicht ist das auch ganz gut so. Denn eine durchgehende Berichterstattung über die Details der Nabelschau, die die Grünen im Bund wie in Wien betreiben, ist für die breite Öffentlichkeit semiinteressant. Der samstägliche Bundeskongress ist dennoch Anlass für eine Wasserstandsmeldung: Wie und wer wollen die Grünen also künftig sein?

Die gestern vernehmbare Antwort lautete: gut gelaunt und locker – so wie die deutschen Kollegen rund um Robert Habeck, der auf Instagram auch Fotos vom Zähneputzen postet. Nun lässt sich der Erfolg der Nachbarn nicht kopieren, u. a. weil ein wichtiger Bestandteil dessen die spezifische politische Großwetterlage ist – vom Merkel-Seehofer-Streit bis zur müden „Groko“. Aber in Sachen Stimmenfischen kann man trotzdem einiges lernen. In Österreich waren die Grünen zuletzt mehr Teich als Fischer. Die Chancen, die SPÖ wie die SPD abzuräumen, stehen zwar schlecht – wenn es gegen Türkis-Blau geht, scharen sich deren Gegner wohl taktisch hinter der größeren Partei –, aber im Verhältnis zur ÖVP tut sich etwas. Wenn es, wie zuletzt aufgrund der Umstände einer Abschiebung, zwischen Vorarlberg und Wien in der ÖVP kracht, spitzen die Grünen die Ohren. Die Gruppe, die sie anvisieren, ist ihnen dabei nicht fremd. Lodenmantel-Grüne hieß das einst. Heute würde man sie Bürgerliche nennen, denen die Ali-Videos und andere schwer abzulegende Gewohnheiten des blauen Koalitionspartners gegen den Strich gehen.

Dass es funktionieren kann, wenn man linke Inhalte bürgerlich verpackt, hat der Van-der-Bellen-Wahlkampf gezeigt. In Deutschland macht man aus der Stoßrichtung auch gar kein Hehl. „Zwischen links und bürgerlich“ sieht Habeck „keinen Widerspruch“. Im Untertitel des Buchs des grünen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, heißt es: „Für eine neue Idee des Konservativen.“ Blickt man in die Reihen des grünen hiesigen Personals, fühlt man diesen Gedanken auch mitschwingen. Den Innsbrucker Bürgermeister Georg Willi kennt man auch als Kirchenchorleiter, ein Mitglied des neu gewählten jungen Bundesvorstands ist Stefan Kaineder. Der studierte Theologe meinte unlängst im „Kurier“: „Heute vertreten die Grünen die christlichen Werte.“

Wobei es bei Grünen natürlich nicht um Religion geht. Eher um ein Gefühl, das auch die Neos „emotional bewirtschaften“, wie es Eva Glawischnig nennen würde: Anstand, zivilgesellschaftliches Engagement. Die Neos sind auch das größte Hindernis der Grünen auf dem Weg zur neuen alten Zielgruppe. Das andere sind sie selbst. Denn in Deutschland und in Österreich ist das neue grüne Lieblingswort: „und“. Man ist links und bürgerlich. Radikal und real. Für Humanität und Sicherheit und für Ökologie und Ökonomie.

Klingt gut. Aber die Antwort „alles“ auf die Frage „Wie und wer wollen die Grünen sein?“ macht einen nicht schlauer.

Mails an: ulrike.weiser@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.11.2018)

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