Die Wirtschaft, das sind wir. Aber wir verschwenden unsere Macht

Der Markt ist die Summe all unserer Entscheidungen.
Der Markt ist die Summe all unserer Entscheidungen. Bloomberg
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G20, Brexit, Trump: Die Politik tut oft so, als sei Wirtschaft ihre Sache. Das stimmt aber nicht. Das Thema geht alle an. Zeit, dass wir uns daran erinnern.

Es ist eine bequeme Ausrede. Die Politikerinnen und Politiker treffen sich in Südamerika. Dort reden sie über die Zukunft der Wirtschaft, heißt es. Wir Beobachter echauffieren uns kurz, wenn das Thema im Fernsehen kommt. Worüber auch immer, Themen gibt es genug: Trump, Brexit, China, Italien, Brüssel, Regierung, Gewerkschaft.

Dann gehen wir online und bestellen haufenweise Plastik, das wir mit der Plastikkarte bezahlen. Für uns, für die Kinder, für die Oma. Zu Weihnachten – oder einfach so, weil es ein Angebot gibt. Wir konsumieren, um uns abzulenken. Um auch einmal eine Entscheidung treffen zu dürfen. „Was sollen wir sonst auch tun?“, sagen wir. „Hilft ja alles nichts. Die da oben machen sowieso, was sie wollen.“

Das stimmt aber nicht. Es ist eine Legende, die wir uns erzählen, um selbst keine Verantwortung übernehmen zu müssen. Es ist eine Einstellungssache. Arbeiten, Geldverdienen, Sparen – all das wird als lästige Hausübung verstanden. Deshalb delegieren wir die Wirtschaft gern an die Nachhilfelehrer. An Politik und Staat. Aber die könnten ohne die Leistungen, die die Bürger jeden Tag an Schreibtisch, Maschine, im Klassenzimmer oder am Spitalsbett erbringen, gar nichts erreichen. Sie schmücken sich in guten Jahren mit unseren Erfolgen und verkaufen sie uns später als Wahlzuckerl zurück.


In schlechten Jahren identifizieren sie dann Sündenböcke, die an allem schuld sind: die Ausländer, die Banken, die Maschinen. Manchmal muss sogar das Wetter herhalten, wenn sich sonst nichts ergibt. Hauptsache, es gibt eine Ausrede. Damit wir uns nicht schlecht vorkommen müssen. Liegt ja alles nicht in unserer Hand! Beweise des Gegenteils tun wir ab. Marc Zuckerberg? Harvard-Connections. Jeff Bezos? Glück gehabt. Dietrich Mateschitz? Eiskalt – wie sein Zuckerwasser. So wollen wir nicht sein.

Einzig: Dieses Spiel, das wir die Wirtschaft nennen, ist nicht optional. Wer glaubt, nicht mitspielen zu müssen, hat schon verloren. Umgekehrt gilt das aber auch. Der Wirtschaftskreislauf ist kein Nullsummenspiel. Christoph Leitls alter Spruch, dem zufolge es allen gut geht, wenn es der Wirtschaft gut geht, ist nicht so falsch gewesen. Deswegen orientieren sich erfolgreiche Gesellschaften an Werten wie Arbeit, Fleiß, Sich-etwas-Aufbauen. Aber wer die Arbeit als lästige Hürde auf dem Weg in die (stets wohlverdiente) Pension betrachtet, kann das nicht sehen. Diese Perspektive ist falsch. Die Wirtschaft, das sind wir. Der Markt ist die Summe all unserer Entscheidungen. Das müssen wir wissen.


Aus dieser Sicht kann es uns egal sein, was die Politiker in Buenos Aires beschließen – oder eher nicht beschließen. Trump, Xi, Merkel und Juncker sollen ihr Ding machen – wir machen unser eigenes. Das kann durchaus beim Konsum beginnen. Wer sich etwas aufbauen will, sollte keine Schuhe kaufen, die nach einem Jahr kaputt sind. Wer sich bessere Schuhe heute nicht leisten kann, sollte für morgen sparen.

Das zwingt einen auch dazu, sich mit der Funktionsweise der Wirtschaft auseinanderzusetzen. Was heißt sparen heute? Wo bekomme ich Zinsen? Was ist mit Aktien, Fonds, Gold? All diese Vehikel helfen uns, die Kaufkraft für die Zukunft zu erhalten – wenn man sie richtig einsetzt. Und wer sich etwas erspart hat, kann sogar das Risiko eingehen und ein Unternehmen gründen. Wer weiß, vielleicht ist das der nächste Mateschitz.

Ist das einfach? Sicherlich nicht. Ein Job, ein Haus, ein Auto vielleicht. Das reicht vielen. Das ist bequem. Und wenn sich doch ein Gefühl der Leere auftut, dann kaufen wir etwas. Irgendetwas. Die Globalisierung und das Internet helfen dabei. Wir können heute jeden Wunsch auf Knopfdruck befriedigen. Wenn das Geld fehlt, holen wir uns einen Konsumkredit mit Wucherzins obendrauf. Das ist der Weg ins Verderben.

Aber es geht auch anders. In einer Marktwirtschaft kann jeder seinen eigenen Plan entwerfen, mit seiner Börse abstimmen und die Wirtschaft beeinflussen. Das ist Macht. Das hören dann auch die Politiker. Wir müssen nur anfangen. Am besten bei uns selbst.

E-Mails an: nikolaus.jilch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.12.2018)

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