Merkels Rechnung ist aufgegangen

Angela Merkel (l.) und Annegret Kramp-Karrenbauer
Angela Merkel (l.) und Annegret Kramp-Karrenbauer (c) imago/photothek (Florian Gaertner/photothek.net)
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Die CDU stimmte für Kontinuität. Von der neuen Chefin, Annegret Kramp-Karrenbauer, ist kein Richtungswechsel zu erwarten. Das sind gute Nachrichten für Merkel und einschläfernde für Deutschland.

Die CDU hat sich für einen sanften Übergang entschieden. Die 1001 Delegierten des Parteitags wählten die Favoritin der bisherigen Vorsitzenden, Angela Merkel. Von der neuen Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer ist kein Richtungswechsel zu erwarten. Die bisherige Generalsekretärin, von bösen Zungen auch Mini-Merkel genannt, wird in der Spur ihrer großen Vorgängerin bleiben. Für die Bundeskanzlerin sind das beruhigende Nachrichten, für Deutschland möglicherweise einschläfernde.

Kontinuität war den Christdemokraten wichtiger als Aufbruch. Sie kürten jene Kandidatin, der sie auch bei der nächsten Bundestagswahl die besten Chancen einräumen. Die im Vorfeld publizierten Deutschland-weiten Umfragen zeigten vermutlich Wirkung. Kramp-Karrenbauer lag da deutlich besser als ihr Herausforderer, Friedrich Merz, der allerdings in der Stichwahl mit 48 Prozent der Parteitagsstimmen nur knapp unterlag. Der Ex-Generalsekretär, der nach einer neunjährigen Auszeit in der Finanzwirtschaft auf die politische Bühne zurückgekehrt war, riet den 1001 Delegierten in klaren Worten einen Strategiewechsel. Er wollte die Konservativen von der „Alternative für Deutschland“ zurückholen, einen wirtschaftsliberalen Kurs einschlagen – und eine klare restriktive Kante in der Einwanderungspolitik zeigen. Der Bruch mit der schwersten Hypothek der Kanzlerin, ihrer liberalen Haltung während der Flüchtlingskrise, war Kern seines Programms.

Am Ende scheiterte Merz nur knapp. Doch die Partei votierte für eine Fortsetzung des Merkelianismus, für die grün angehauchte Mitte. Die AfD wird es freuen. Ein beachtliches Ergebnis erzielte der Dritte im Bunde, Gesundheitsminister Jens Spahn, mit 15 Prozent im ersten Durchgang. Er hielt die vielleicht beste Rede. Er war am lockersten, denn er hatte nichts mehr zu verlieren. Saarlands Ex-Ministerpräsidentin ging in ihrer emotionalen Ansprache an die Grenzen ihrer rhetorischen Fähigkeiten, Merz blieb darunter. Das gab den Ausschlag.

Die Art und Weise, wie die CDU ihre neue Führung kürte, war beeindruckend. In einem fairen Wettstreit auf hohem Niveau warben drei respektable Persönlichkeiten um die Gunst der Delegierten auf dem Parteitag der Christdemokraten. Untergriffe blieben, wie zuvor schon auf den Regionalkonferenzen, aus. Schon vor Auszählung der Stimmen gab es deshalb einen Sieger gegeben: die CDU. Ihr nützte die Zwischenmobilisierung, sie legte in Umfragen wieder zu.

Tandem. Diese Dynamik kann schnell verpuffen, wenn Merkel an der Spitze der Bundesregierung einfach so weitermacht wie bisher und ihre Ankündigung, bis 2021 im Kanzleramt zu bleiben, tatsächlich wahr macht. Die Versuchung ist groß: Mit Kramp-Karrenbauer als CDU-Chefin kann das Tandem klappen. Merz hätte die Doppelspitze schnell aus dem Tritt gebracht.

Die Neuauflage der Großen Koalition war von Tag eins an ausgelaugt. Noch glänzen die großen Eckdaten der deutschen Volkswirtschaft. Die Steuereinnahmen sprudeln, die schwarze Null im Bundeshaushalt steht, die Arbeitslosigkeit liegt unter fünf Prozent. Es sind Traumzahlen im europäischen Vergleich, die sich Merkel auch auf ihre Fahnen heften kann. Doch unter der Oberfläche beginnt es zu bröckeln, teils im wahrsten Sinne des Wortes. So mancher Schlüssel zum deutschen Wirtschaftserfolg ist etwas rostig geworden. Der deutschen Autoindustrie steht ebenso wie dem Bankensektor ein Umbruch bevor. Seit der Bundestagswahl im Herbst 2017 steht Deutschland politisch praktisch still. Die Wähler in Bayern und Hessen präsentierten die Rechnung. Merkel blieb fast nichts anderes übrig, als die Reißleine zu ziehen und den Parteivorsitz zurückzulegen.

Sie sollte ihren halben Rücktritt vervollständigen – und auch im Kanzleramt Platz für eine neue Ära machen. Deutschland bräuchte einen neuen Neustart mindestens ebenso sehr wie die CDU.

christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 8.12.2018)

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