Auch die Kirche muss Transparenz lernen

Europas Gesellschaft sollte nicht nur zu Weihnachten kein Interesse am Autoritätsverlust des Christentums haben. Konsequenzen aus Missbrauchsfällen und Vorgängen in Kärnten sind unausweichlich. ?

Nicht wenige vergessen, dass wir dieser Tage weder den Tag des Nadelbaumes noch den kommerziellen Golden Monday feiern, an dem wir gekaufte Produkte vom vergangenen Black Friday verschenken oder verzehren, sondern den zweitwichtigsten christlichen Feiertag: den der Geburt Jesu von Nazareth. Das Fest der Liebe ist eines der zentralen christlichen (Familien-)Rituale, das sich stilistisch wohl verändert, dessen Kern Kriege, Krisen und Umwälzungen überdauert. Weihnachten müsste ein starkes Lebenszeichen christlichen Glaubens sein – übrigens ebenso wie das geeinte Europa, dessen Gründungsväter und -mütter die christliche Kultur als Fundament verstanden. Müsste.

Leider ist die katholische Kirche auf völlig unterschiedlichen Ebenen mit Problemen konfrontiert, die sie nicht und nicht in den Griff bekommt. Unter Papst Franziskus, der als freundlicher Reformer begann und die Massen mit leicht populistischer Kapitalismuskritik begeisterte, war eine Aufbruchsstimmung zu spüren, die angesichts einer unglaublichen weltweiten Missbrauchsskandalserie von Priestern und Bischöfen verschwunden ist. Der sexuelle Missbrauch von Kindern durch Männer, die behaupten, im Dienst Gottes gestanden zu haben, muss als systematisch bezeichnet werden. In vielen Ländern mauerten und leugneten die kirchlichen Amtsträger lange Zeit und verhöhnten so die Opfer. Papst Franziskus selbst hat diesem unwürdigen Spiel viel zu lang zugesehen und auf eine entschlossene, harte Reaktion des Vatikans (ohne Rücksicht auf das Ansehen der Verdächtigen) verzichtet. Wenn Franziskus in seiner Weihnachtsbotschaft sagt, „Jenen, die Kinder missbrauchen, würde ich gern sagen: Bekehrt Euch, stellt Euch der menschlichen Justiz und bereitet Euch auf die göttliche Gerechtigkeit vor“, ist das ein richtiger und wichtiger Satz, nur in dieser Deutlichkeit vielleicht (zu) spät formuliert. Die Aussage „Die Kirche wird nie versuchen, solche Fälle versanden zu lassen oder zu unterschätzen“ klingt ein bisschen zynisch, denn in der Vergangenheit ist genau das passiert.

Zumal die jüngsten Nachrichten anders klingen, auch wenn die römische Kirche daran vielleicht keinen Anteil hat: In Australien wurden Medien in einem Missbrauchsprozess zu einer Nachrichtensperre verdonnert – mittels „Suppression Order“, um die Geschworenen vor Beeinflussung zu schützen. Bei dem Angeklagten handelt es sich um einen bis vor Kurzem noch engen Berater des Papstes und derzeit beurlaubten Finanzchef des Vatikans, den 77-jährigen Kardinal George Pell. Gegen ihn gibt es Vorwürfe, sich als junger Pfarrer und später als Erzbischof in seiner Heimat an Buben vergangen zu haben.

In diesem Kontext wirken mutmaßliche wirtschaftliche Unregelmäßigkeiten im Umfeld des früheren Kärntner Bischofs Alois Schwarz harmlos. Der Mann hat seine Kirche vor Ort mit ihren Mitarbeitern als Adelsgut wie vor ein paar Jahrhunderten verstanden und wie ein kleiner Renaissance-Papst von einer sehr Vertrauten führen lassen. Die Reaktion in Österreich fiel leider wieder intransparent aus: Es wurde offenbar einfach weggeschaut. Interessanterweise reagierte Kardinal Schönborn wie ein Politiker: Diese sehen Verantwortung für Mühseligkeiten immer in Brüssel, Schönborn im Fall der Kärntner Posse in Rom.

Wenn in den Christmetten über Solidarität und Nächstenliebe gepredigt wird, wären deutliche Worte begrüßenswert, die klarmachen, dass die Kirche ihre großen und kleinen Sünden ernst nimmt, endlich umfassend öffentlich beichtet und alles daran setzt, derartige Fälle zu verhindern. Priester und Bischöfe sind nur Menschen, doch durch ihre Hirtenrolle gelten für sie viel strengere Gesetze. Halten sie sich nicht einmal an die für alle geltenden, verliert die Kirche massiv an Autorität. Das mögen manche begrüßen. Unsere europäische Gesellschaft sollte es nicht. Die wichtigste Glaubensgemeinschaft auf dem Kontinent sollte Stabilität beweisen. Nicht nur zu Weihnachten.

rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.12.2018)

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