Der Aktienkurs der Haltungen

Was meint ein Landeshauptmann, wenn er sagt, kriminelle Asylwerber hätten in Österreich nichts verloren? Nach der Bluttat in Dornbirn wird der Ton rauer. Das ist menschlich, aber ist es auch zu Ende gedacht?

Haltungen sind bisweilen eine überraschend volatile Angelegenheit. Als Herbert Kickl Anfang des Jahres anklingen ließ, dass man an der Menschenrechtskonvention ein wenig rütteln könne, war die Aufregung groß. Eine erschütternde Bluttat später häufen sich aber nun Wortmeldungen, die nahelegen, dass auch andere sich das vorstellen könnten.

Oder was meint der Vorarlberger Landeshauptmann, Markus Wallner, wenn er auf Servus TV sagt: „Ein krimineller Asylwerber hat in Österreich nichts verloren. Punkt.“

Konsequent zu Ende gedacht, bedeutet der Satz des ÖVP-Politikers, der vor Kurzem gemeint hat: „Ich bin keiner, der Menschenrechte infrage stellt“, nämlich nichts anderes als genau das. Entweder will er bestimmte Asylanträge gar nicht prüfen lassen. Oder er hält das Non-Refoulement-Gebot für korrekturbedürftig. Es besagt, dass niemand – also auch kein Schwerkrimineller – abgeschoben werden darf, wenn schwere Menschenrechtsverletzungen drohen. Ein Szenario, das im Anlassfall ins Treffen geführt wurde. Nun kann man verstehen, dass Politiker – übrigens auch grüne – nach Tragödien der Bluttat in Dornbirn „So geht's nicht!“-Aussagen tätigen. Man will den Leuten zeigen, dass man ihre Empörung teilt, statt nüchtern auf die Rechtslage zu verweisen. Das ist sehr menschlich. Nur ganz ehrlich ist es nicht.

Denn in der Asyldebatte gibt es keine „Wasch mich, aber mach mir den Pelz nicht nass“-Lösung. Entweder hält man eine Debatte über Menschenrechte für einen Sündenfall, den ersten Schritt zur Aufgabe ethischen Anspruchs. Oder aber man gibt zu, dass man inhaltlich vielleicht doch ein Stück näher bei Kickl ist, als einem lieb ist. Auffallend ist, dass von Expertenseite Kritik an der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte laut wird. Der Verfassungs-und Verwaltungsrechtler Bernhard Raschauer hält dessen Auffassung vom Schutz des Individuums für überzogen. Dieser müsse stärker gegen den Schutz der Bevölkerung abgewogen werden, so der Jurist. Das betrifft, wie er der „Wiener Zeitung“ sagt, Haftgründe ebenso wie das Nichtabschiebegebot, wie er gegenüber der „Presse“ ergänzt. Apropos Haft: Die Frage, ob man den Dornbirner Täter aufgrund seiner Vorgeschichte nicht doch hätte früher einsperren können oder beobachten müssen, ist noch nicht vom Tisch. Laut Innenministerium war das unmöglich, aber es fehlen noch Fakten. So fanden etwa die „Vorarlberger Nachrichten“ nun heraus, dass der Mann schon zum zweiten Mal um Asyl angesucht hatte.

Mehr Transparenz wäre auch fein, wenn Kickl klagt, dass er mit der Idee, Flüchtlinge auch nach leichteren Vergehen abschieben zu können, bei der EU abgeblitzt sei. Existiert doch bereits eine fertig verhandelte europaweite Verschärfung für die Abschiebung straffälliger Flüchtlinge. Von dieser wäre zwar nicht jeder Ladendieb, aber wohl jeder Seriendieb erfasst. Kickls Ambition, die Verordnung während des Ratsvorsitzes in Kraft treten zu lassen, hielt sich aber in Grenzen.

Doch darüber redet er weniger laut. Im Gegensatz zu Dornbirn. Kickl betreibt damit bereits EU-Wahlkampf. Überraschend ist das nicht. Vielmehr konsequent. Irritierend darf man es trotzdem finden.

ulrike.weiser@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.02.2019)

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