Neue Therapie gegen Leukämie: Bleiben wir ein Land der Forscher

Ohne die enorme Bereitschaft der Bevölkerung, sich an klinischen Studien zu beteiligen, gäbe es heute keine Medikamente, die die Chemotherapie ersetzen.

Es ist jetzt also so weit. Der ganz große Durchbruch in der Krebsforschung, von dem seit Jahren gesprochen wird, ist da. Die häufigste Form der Leukämie wird künftig ohne Chemotherapie behandelt. Kein Haarausfall mehr. Keine Brechattacken, kein Durchfall. Nur relativ gut verträgliche Medikamente mit kontrollierbaren Nebenwirkungen, die die Lebenserwartung und vor allem Lebensqualität der Patienten deutlich steigern. Viele werden sogar vollständig geheilt.

Und das ist nur der Anfang. Bei einer Reihe von weiteren Krebserkrankungen – nicht nur Formen der Leukämie – kommt diese, wie sie heißt, zielgerichtete Medikamententherapie ebenfalls schon zum Einsatz. Vorerst in Kombination mit der „Chemo“, aber mit dem Ziel, sie bald zu ersetzen. Schon in den kommenden Jahren könnte also die Behandlung der meisten Krebserkrankungen auf diese Therapie umgestellt werden.

Zu verdanken ist dieser Quantensprung in der Medizin einem weltweiten Zusammenspiel aus Kompetenzen, Zeit und natürlich Geld – auch bekannt als Forschung. Mit Österreich an vorderster Front. Ein Erfolg, der in der öffentlichen Diskussion über das heimische Gesundheitssystem, das von Konflikten über die Attraktivität der Arbeitsplätze für Ärzte und Meldungen über Ärzteflucht ins Ausland dominiert wird, oft zu kurz kommt. Dabei ist Österreich immer noch ein Land der Forschung. Und der Forscher.

Dazu tragen viele Faktoren bei: weltweit vernetzte Institute etwa, die im Einvernehmen mit und bei gleichzeitiger Äquidistanz zu Pharmaunternehmen arbeiten und regelmäßig Fördergelder aus internationalen Töpfen lukrieren. Sehr gut ausgebildete Mediziner, Biochemiker und Biologen, die in Österreich bleiben oder nach Österreich kommen, weil sie die effizienten Strukturen für Forschung schätzen.

Und nicht zuletzt die Bereitschaft in der Bevölkerung, sich an der Forschung zu beteiligen und für Studien zur Verfügung zu stellen. Eine Bereitschaft, die sogar über den Tod hinausgeht. So ist Österreich das Land mit dem weltweit größten Pool an Körperspendern. Allein in Wien haben derzeit 40.000 Menschen einen Vertrag mit der Medizinischen Universität, in dem sie sich bereiterklären, ihren Körper nach dem Tod der Wissenschaft zu vermachen. Eine Tradition, die bis ins Josephinische Zeitalter zurückreicht. In der relativ aufgeklärten Gefolgschaft des Kaisers war es selbstverständlich, der Wissenschaft einen letzten Dienst zu erweisen.

Aber nicht nur nach dem Tod, auch zu Lebzeiten haben Österreicher kaum Scheu davor, an klinischen Studien teilzunehmen – und klinische Forschung wäre ohne ausreichend Probanden schlichtweg nicht möglich. Gesunde Probanden, wohlgemerkt. Menschen, an denen in der Phase eins die Verträglichkeit und Resorption eines Wirkstoffes getestet wird. Erst in der Phase zwei und drei wird die Wirksamkeit des Stoffes an erkrankten Probanden getestet.

Patienten für diese Tests zu finden ist naturgemäß kein großes Problem. Schließlich haben sie Zugang zu Medikamenten und Therapien, die für die breite Öffentlichkeit noch nicht verfügbar sind. Die vierte (und letzte) Phase erfolgt nach der Zulassung eines Medikaments und dient der Erhebung von weiteren Daten, die sich aus der Behandlung ergeben.

In dieser Phase befinden sich die auf dem Markt befindlichen CLL-Medikamente – damit künftig auch andere Krebsarten mit ihnen behandelt werden können. Und der Fortschritt nicht endet. Die Bereitschaft der Menschen, ihren Beitrag zu leisten, ist jedenfalls ungebrochen und wird angesichts solcher Erfolge hoffentlich noch größer. Wo sie ihren Ursprung hat, ist schwer zu sagen, da sie in allen sozialen Schichten gleichermaßen vorkommt. Vielleicht ist es die Vorleistung dafür, die Ergebnisse der Forschung irgendwann in Anspruch nehmen zu müssen. Vielleicht aber auch die Vorstellung davon, an etwas Großem beteiligt zu sein. Beides nichts, wofür man sich schämen müsste – denn natürlich, die Menschen brauchen die Spitzenmedizin. Aber genau so sehr braucht die Spitzenmedizin die Menschen.

E-Mails an: koeksal.baltaci@diepresse.com

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