Europa ist eine Union der Vernunft, Gefühle stehen uns nur im Weg

Immer dann, wenn es zu emotional wird, gerät Europa in Schieflage.
Immer dann, wenn es zu emotional wird, gerät Europa in Schieflage.(c) APA/AFP/TOLGA AKMEN
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Der Brexit war eine Bauchentscheidung. Auch im Wahlkampf werden wieder Emotionen bedient. Stattdessen sollten wir nüchtern und pragmatisch bleiben.

Die EU ist ein Konstrukt der Vernunft. Unsere Union basiert auf Verträgen, nicht auf Emotionen. Diese Verträge sind manchmal geduldig, oft umstritten, gelegentlich werden sie ignoriert. Aber das ist der Weg, den wir gewählt haben. Nicht, weil er einfach ist. Sondern, weil es keinen anderen gibt. Denn immer dann, wenn es zu emotional wird, gerät Europa in Schieflage. So war das bei der EU-Verfassung, die abgelehnt wurde. Und so ist es beim Brexit, einer spontanen Bauchentscheidung der Briten.

Auch die Vorstellung eines Europas, geeint durch die Leidenschaft von 500 Millionen „glühenden“ Europäern, die ihre nationale Herkunft vergessen und Hand in Hand in eine glorreiche, gemeinsame Zukunft unter dem blau-gelben Banner marschieren, ist immer eine Illusion geblieben. Nur vereinzelt ist sie in der Realität zu erkennen. Bei den Studierenden, in der Elite und der Wirtschaft. Und auch da wirkt er verkrampft und aufgesetzt, dieser erzwungene europäische Patriotismus. Im schlimmsten Fall schafft er sogar Probleme. Weil er Feindbilder liefert, an denen die Nationalisten und Populisten sich dann abarbeiten können.


Dabei muss man sich nur das Verhalten der Europäer ansehen, um zu verstehen. Europa ist keine Union der Gefühle, es ist eine Union des Pragmatismus. Wir gehen miteinander, aber nur, wenn es auch etwas bringt. So war das von Anfang an. Die EU wurde für die Vereinigung der deutsch-französischen Kohle- und Stahlindustrie geschaffen. Als pragmatisch motivierte Wirtschaftsunion zur Sicherung des Friedens. Und alle greifbaren EU-Erfolge wurzeln in diesem Pragmatismus.

Es gibt in Brüssel sehr schlaue Köpfe, die das verstehen. Die wissen, dass man den Europäern konkrete Erfolge vorlegen muss, die zur Not auch am Stammtisch helfen. Hier ein paar Argumente für überzeugte Österreicher, die wissen, dass ihr schönes Land in der Mitte Europas von der EU profitiert: „Wollt ihr wieder Geld wechseln? Wollt ihr Roaminggebühren zahlen? Wollt ihr eure Rechte für Entschädigung bei Flugverspätungen aufgeben? Wollt ihr wieder Grenzen zwischen den Ländern sehen?“ Okay, mit dem letzten Satz muss man aufpassen – aber die Vorteile des grenzenlosen Verkehrs innerhalb Europas sollten selbst dem größten Migrationsgegner einleuchten.

Genau darum geht es: Die Dinge dort gemeinsam zu lösen, wo der Vorteil für alle klar ersichtlich ist. Konsumentenschutz, Umweltpolitik, Menschenrechte, Rechtsstaat – in vielen Gegenden der Welt sind diese Dinge Verhandlungsmasse. In Europa haben wir sie zu Eckpfeilern unserer Union gemacht.


Insofern wird der Brexit sicher ein Lehrstück werden. Ausgerechnet bei den unterkühlten Briten hat die Emotion gesiegt. Jetzt, wo die Tragweite der Entscheidung sichtbar wird, kommt Nervosität auf. Die Politiker, die für den Brexit Stimmung gemacht haben, sind von der Bildfläche verschwunden. Immer mehr sehen die negativen Folgen eines EU-Austritts, manche wollen ihn verschieben. Aber die Entscheidung ist gefallen. Und wenn die Scheidung vollzogen ist, muss auch die Rest-EU wieder ihren Weg finden.

Halten wir uns jetzt weiter mit den großen Bildern von den „Vereinigten Staaten von Europa“ auf, die es so nie geben wird? Oder mit dem Gegenteil, mit der Renationalisierung aller Lebensbereiche, was genauso illusorisch ist? Wieder werden auf allen Seiten der Debatte nur Emotionen bedient. Wir sollten stattdessen schaffen, woran die Briten gescheitert sind – und nüchtern bleiben. Wir müssen aufs Neue identifizieren, wo die EU punktuell das Leben der Europäer verbessern kann. Und wie wir mit Amerika, Russland und China umgehen müssen, um unsere Zukunft zu sichern.

Die Staatsgrenzen in Europa haben sich so oft verschoben, dass es pragmatisch war, sie im Inneren aufzulösen. Das heißt aber nicht, dass wir alle nur noch Europäer sind – und keine Österreicher, Deutschen, Kroaten oder Italiener. Gemeinsam sind wir stärker, das stimmt. Aber entscheidend ist, wofür wir diese Stärke einsetzen.

E-Mails an:nikolaus.jilch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.02.2019)

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