So widersinnig und widerwärtig ist der Brexit gelaufen

Bis heute kann niemand sagen, wie sich Großbritanniens Verhältnis zu den langjährigen europäischen Partnern in einem oder zwei Jahren darstellen wird.
Bis heute kann niemand sagen, wie sich Großbritanniens Verhältnis zu den langjährigen europäischen Partnern in einem oder zwei Jahren darstellen wird.(c) REUTERS (Hannah Mckay)
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Scheidungsverträge gewinnen keinen Schönheitswettbewerb. Sie sind ein in Paragrafen gegossener Versuch, irrationale Stimmungen einzufangen.

Wieder hat sich der Brexit ein Stück weitergedreht. Von Durchbrüchen zu Konflikten über neue Durchbrüche zu nächsten Konflikten und Verzögerungen. Bis heute kann niemand sagen, wie sich Großbritanniens Verhältnis zu den langjährigen europäischen Partnern in einem oder zwei Jahren darstellen wird. Zu widersinnig ist die Suche nach immer neuen Aus- und Umwegen geworden.

Der Scheidungsvertrag, der gestern erneut im britischen Unterhaus beraten wurde, gewinnt keinen Schönheitswettbewerb. Aber er ist mittlerweile das einzige Sicherungsseil in diesen absurden Verhandlungen geworden. Immerhin ist es auf den 585 Seiten gelungen, zahlreiche konfliktreiche Themen zu lösen: etwa die künftigen Zahlungen an die EU, den Rechtsstatus der Bürger, die Übergangsphase. Sogar für den Erhalt des nordirischen Friedensvertrags wurde eine Lösung gefunden – mit dem Backstop, der eine offene Grenze zwischen beiden Teilen der Grünen Insel garantiert.

Diese diplomatischen und juristischen Leistungen sind vergessen, seit das innenpolitische Tauziehen in London um dieses Abkommen begonnen hat, in dem es weniger um eine Lösung als um Macht, Neuwahlen, Regierungswechsel und vor allem um viele alte Rechnungen geht. Das Brexit-Abkommen war ein Versuch, all die irrationalen Stimmungslagen sowohl in Großbritannien als auch in den 27 verbleibenden EU-Staaten einzufangen. Es ist für die aktuelle Stimmungspolitik bezeichnend, dass dieser Text dennoch von einigen Brexiteers zum Schüren neuer Konflikte genutzt wurde.

Geht es noch um die Sache? Diese Frage ist den Verantwortlichen in zahlreichen EU-Hauptstädten zu stellen, nicht nur in London. Es geht um einen Schaukampf, für den der neu entflammte Nationalismus eine willkommene Triebfeder geworden ist. Da es so einfach funktioniert, wird der Heimatstaat den Bürgern als einziger Garant für Wohlstand und Gerechtigkeit verkauft. In vielen Varianten wurde von britischen Politikern der Bevölkerung suggeriert, dass der nationale Weg die Befreiung von EU-Bürokratie und Einflussnahme bringen würde. Das Übel, so ihre Argumentation, kam immer von außen – von Ausländern, den transnationalen Behörden, den gemeinsamen europäischen Gerichten.

Es wurde und wird die Illusion verbreitet, ein einzelnes Land könnte sich die internationalen Handelspartner selbst aussuchen, sie zu Verträge drängen, die vor allem den eigenen Interessen entsprechen. Nur so könne die eigene Nation wieder gewinnen und alles ins Lot kommen. Das ist der Stoff jener wirtschaftspolitischen Mythen, die Donald Trump in Washington genauso verbreitet wie die Brexit-Hardliner um Jacob Rees-Mogg in London. Diese Denkweise mag aus patriotischer Sicht zwar verständlich sein. Sie trägt in einer umfassend vernetzten Welt aber nicht im Geringesten dazu bei, alles ins Lot zu bringen. Ganz im Gegenteil. Das Widerwärtige an ihr ist, dass mit ihr Feindbilder bedient werden, die zu neuen Konflikten und Auseinandersetzungen führen.


In einem Punkt könnte sich freilich gerade am Brexit zeigen, dass ein solches Denken auch Positives auslösen kann. Dann nämlich, wenn es zumindest dazu beiträgt, den internen Zusammenhalt des Königreichs sicherzustellen. Bisher ist freilich nicht einmal das geglückt. Die vermeintlichen Feinde von außen haben die Briten nicht zusammengeschweißt. Im Gegenteil.

Es ist entlarvend, dass keiner, der eine solche nationalistische Utopie verbreitet, auch die damit verknüpfte Eigenverantwortung akzeptiert. Es ist ja Teil der demokratischen Freiheit, sich aus Gemeinschaften wie der EU zu lösen, aber wo ist dann das Verantwortungsgefühl für militärischen und sozialen Frieden in der eigenen Region, wo für ausreichende Arbeitsplätze, vielfältige Bildungsangebote im eigenen Land? In Großbritannien haben die innenpolitischen Brexit-Kapriolen all diese wichtigen Zukunftsthemen hinweggefegt. Ob Rees-Mogg oder Boris Johnson: Sie wollten doch selbst in allen nationalen Lebenslagen wieder das Ruder in die Hand nehmen. Derzeit fahren sie damit aber nur laut planschend im Kreis.

E-Mails an: wolfgang.boehm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.03.2019)

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