Theresa Mays fliegender Brexit-Zirkus

In der Rolle der Brexit-Visagistin ist May bis dato kläglich gescheitert.
In der Rolle der Brexit-Visagistin ist May bis dato kläglich gescheitert.APA/AFP/MARK DUFFY
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Um ihren Austrittsdeal durchs Parlament zu bugsieren, will die Premierministerin verhindern, dass Großbritannien an Europawahlen teilnimmt.

„Eigentlich bin ich davon ausgegangen, dass Sie ein Kaninchen aus dem Hut zaubern werden. Stattdessen ist es ein Hamster geworden.“ Mit diesen Worten kommentierte ein Kollege von Theresa May den vorläufig letzten Versuch der Premierministerin, ihr ungeliebtes Abkommen zum EU-Austritt Großbritanniens unter Wortgirlanden zu begraben, um es vor den wutschnaubenden Brexit-Jakobinern in ihrer eigenen Partei zu verstecken. Mays Erfolg war, wie wir in der Zwischenzeit wissen, mäßig – doch immerhin hat das Manöver nach dem historischen Abstimmungsdebakel im Jänner für die nur viertgrößte Niederlage in der Geschichte der britischen Demokratie gereicht. Und als kleine Draufgabe konnte die Regierungschefin den eingangs zitierten Skeptiker für sich gewinnen, der seine Nagetier-Suada folgendermaßen beendete: „Ich für meinen Teil kann mit diesem Hamster gut leben.“

In der Rolle der Brexit-Visagistin ist May bis dato kläglich gescheitert. Doch als menschlicher Schutzschild liefert sie ein Bravourstück nach dem anderen ab. Angesichts des Sperrfeuers in Whitehall und Westminster wirkt es fast schon wie ein Wunder, dass der von ihr verhandelte EU-Austrittsvertrag nach wie vor auf dem Tisch liegt und nicht längst in tausend klitzekleine Stücke zerfetzt wurde.

Man kann der Premierministerin vieles vorwerfen – nur keinen Mangel an Ernst- und Standhaftigkeit. Wie ein kleines Schleppschiff pflügt May stur durch immer höhere Wellen, während der britische Parlamentarismus in politische Untiefen hinabsinkt. Das Gerangel rund um die Abhaltung neuer Brexit-Voten im Unterhaus, bei dem sich die Beteiligten mittels prozeduraler Kniffe aus dem 16. und 17. Jahrhundert auszutricksen versuchen, erinnert in seiner surrealen Logik an animierte Collagen aus der Fernsehserie „Monty Python's Flying Circus“. Um das absurde Brexit-Tableau perfekt zu machen, fehlen nur noch eine Schar fliegender Schafe, drei furzende Wolken und ein dampfbetriebener Erzbischof.

Doch die Angelegenheit ist viel zu ernst, um sie wie einen Sketch zu behandeln. Sofern nicht etwas geschieht, tritt Großbritannien in acht Tagen automatisch aus der Europäischen Union aus – so sieht es der EU Withdrawal Act vor, den britische Abgeordnete im Vorjahr beschlossen haben. Dieser Gesetzestext gilt unabhängig davon, ob es einen Brexit-Deal gibt oder nicht. Und nachdem es im Unterhaus momentan weder eine Mehrheit für das vorliegende Abkommen noch eine für einen „No Deal“ gibt, sondern lediglich eine für eine Verschiebung des Austrittsdatums, hat die Premierministerin die EU um die Gewährung einer Galgenfrist bis zum 30. Juni ersucht.

Stimmen die Staats- und Regierungschefs der EU-27 diesem Ansuchen zu, wäre die Taktiererin May ihrem Ziel einen großen Schritt näher. Sie will den Spielraum des Unterhauses derart einengen, dass den Abgeordneten nur eine einzige Wahl übrig bleibt: ihr Deal oder gar kein Deal. Damit es dazu kommt, muss May bis Mitte April auf Zeit spielen. Dann nämlich verstreicht die Frist für die Ausrufung der Europawahlen, die Ende Mai stattfinden werden. Verpasst Großbritannien diesen Stichtag, ist der Weg zu einer neuerlichen Fristverlängerung oder gar einer Rücknahme des Austrittsgesuchs versperrt. Denn die Briten können nicht länger als bis Ende Juni in der EU verbleiben, ohne Europaabgeordnete zu stellen.

Und sollte die EU Mays Ansuchen um Aufschub eine Absage erteilen, wäre die Premierministerin ebenfalls im Vorteil – und das Unterhaus mit demselben Dilemma konfrontiert. Denn die Brexit-Zeitbombe muss vor dem 29. März entschärft werden, damit Großbritannien nicht mit einem lauten Knall aus der EU fliegt. Mit dem Rücken zur Wand werde eine knappe Mehrheit für das vorliegende Abkommen stimmen, lautet Theresa Mays Kalkül. Dass die Brexit-Ultras mit dem Plan gut leben können, macht deutlich, wie brandgefährlich diese Strategie ist. Denn anders als May kalkulieren die Europagegner mit einer knappen Abstimmungsniederlage. Und dann hätte die Premierministerin nicht einmal einen mageren Hamster vorzuweisen.

E-Mails an:michael.laczynski@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.03.2019)

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