Natürlich ist auch Katholiken der Karfreitag heilig

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Einer Gesellschaft, in der jeder nur seine „persönlichen Feiertage“ wahrnimmt, droht der Verlust des Zusammenhalts.

"Bei welchen Heiden weiltest du, zu wissen nicht, dass heute der allerheiligste Karfreitag ist?", fragt Gurnemanz den in Rüstung ertappten Parsifal in Wagners „Bühnenweihfestspiel“, das, etwa in der Wiener Staatsoper, gern am Gründonnerstag ausgeführt wird. (Am Karfreitag ist, ebenso traditionellerweise, spielfrei.) Man kann über die wilde Mythenkonstruktion im „Parsifal“ streiten, in einem ist der evangelisch getaufte Richard Wagner in diesem Werk seiner Konfession treu geblieben: in der Betonung der Interpretation, dass der Mensch durch das Leiden Christi bereits erlöst, die Natur bereits „entsündigt“ sei. Es war diese Überzeugung, die Martin Luther, das Wort vom lateinischen „carus“ ableitend, vom „lieben Karfreitag“ sprechen ließ.

„Good Friday“ heißt der Tag darum auch auf Englisch. Manche Katholiken mögen die Bezeichnung „Black Friday“ vorziehen, doch auch die katholische Kirche sieht den Karfreitag als hohen Feiertag, sie betont freilich weniger die Freude über die Erlösung als das Leid des Erlösers – und verzichtet daher programmatisch am Karfreitag auf festliche Riten, auf die sie sich sonst so gut versteht. So wirkt ein katholischer Gottesdienst am Karfreitag schmuckloser, „evangelischer“ als an anderen Tagen.

Doch das sind Äußerlichkeiten. Auf den Kern der Heilslehre können sich Katholiken und Evangelische bei etwas gutem Willen problemlos einigen; die Luther'sche „Theologie des Kreuzes“ muss für keinen Katholiken ein Ärgernis sein – abgesehen davon, dass, wie schon Paulus gesagt hat, das Kreuz sowieso ein Ärgernis ist, ein Ärgernis sein muss.

Dass der Karfreitag heute in den meisten katholischen Ländern ein Werktag und in den evangelischen Ländern ein Feiertag ist, ist erst allmählich im Zuge der Differenzierung der Konfessionen entstanden: Wie die Soziologie weiß, neigen gerade Gruppen, die einander im Prinzip recht ähnlich sind, dazu, Unterscheidungsmerkmale überzubetonen, um den inneren Zusammenhalt zu stärken. So demonstrieren Protestanten ihren Protestantismus, indem sie am Karfreitag nicht arbeiten, und Katholiken ihren Katholizismus, indem sie erst recht fleißig sind . . .

Auch gläubige Katholiken empfinden den Karfreitag zweifellos als heilig, sie besuchen nach Möglichkeit den Gottesdienst, haben sogar volkstümliche Bräuche dazu entwickelt – man denke an die Ratschenbuben, die die nach Rom (!) geflogenen Glocken ersetzen müssen. So läge es nahe (oder wäre nahegelegen), den Karfreitag auch im Sinn der Katholiken zum allgemeinen Feiertag zu erklären und dafür – wenn es denn Konsens ist, dass die Gesamtzahl der Feiertage nicht steigen soll – einen anderen Feiertag zum Werktag zu degradieren. Einen Marienfeiertag zu streichen, wäre freilich heikel und würde von Katholiken als Provokation empfunden. Dafür würde sich der Pfingstmontag anbieten, der mit keiner biblischen Erzählung verbunden ist. Man kann nur darüber spekulieren, warum diese Lösung nicht gewählt wurde – die Wünsche der Tourismusbranche, die das lange Pfingstwochenende hochhält, haben wohl mitgespielt.

Und die stattdessen beschlossene Lösung, dass sich jeder einen „persönlichen Feiertag“ definieren und fixieren darf? Das mag recht liberal und tolerant klingen, weist aber in eine bedenkliche Richtung: Eine Gesellschaft, die nicht mehr gemeinsam feiern kann, in der jeder einen anderen Tag heiligt, sei es der Tag des fliegenden Spaghettimonsters, sei es der Weltspartag oder der Geburtstag des Lieblingsonkels, vereinsamt. Einer Gemeinschaft, in der jeder an einem anderen Tag seine Geschäfte ruhen lässt, einer solchen Gesellschaft geht mit dem gemeinsamen Rhythmus der Zusammenhalt verloren.

So weit ist es noch lang nicht, Gott sei Dank. Man kann den christlichen Kirchen viele Fehler vorwerfen, aber dass sie mit ihren religiösen Festen – die, wie in jeder Kultur, von säkularen Bräuchen überformt und umrahmt werden – zu diesem Zusammenhalt beitragen, ist kein geringer Verdienst. Dafür kann man am Karfreitag gern auf Oper und Theater verzichten. Auf Arbeit auch.

E-Mails an: thomas.kramar@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.04.2019)

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