Kurz und die FPÖ: Zwischen Angewidert- und Angewiesen-Sein

Kurz spricht gerade ein Machtwort nach dem anderen, weil die bräunlichen Eskapaden in der FPÖ beginnen, auch ihn zu beschädigen.
Kurz spricht gerade ein Machtwort nach dem anderen, weil die bräunlichen Eskapaden in der FPÖ beginnen, auch ihn zu beschädigen.APA/ROLAND SCHLAGER
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Die bräunlichen Eskapaden in der FPÖ beginnen, auch die Reputation des Kanzlers zu beschädigen. Doch eine Neuwahl ist derzeit unwahrscheinlich.

Zum ersten Mal seit dem Amtsantritt der türkis-blauen Regierung macht nun das N-Wort die Runde. Ob es die ÖVP auf eine Neuwahl im Herbst anlege, fragten Journalisten am Mittwoch einander, während sie im Kanzleramt auf das Ende der Ministerratssitzung warteten.

Als Indizien für einen bevorstehenden Koalitionsbruch dienen die zuletzt offensichtlich gewordenen Unstimmigkeiten zwischen den eigentlich auf Harmonie und kontrollierte Botschaften bedachten Regierungsparteien. Erst forderte Sebastian Kurz die FPÖ auf, ihre freundschaftlichen (und sonstigen) Beziehungen zu den rechtsextremen Identitären zu beenden, deren Chef eine Spende vom Christchurch-Attentäter erhalten hatte. Und am Wochenende fand der Kanzler dann ungewöhnlich scharfe Worte für die lyrischen Ergüsse des Braunauer FPÖ-Vizebürgermeisters, der ausgerechnet rund um den Hitler-Geburtstag Flüchtlinge mit Ratten verglichen hatte. Die Wortwahl sei „abscheulich, menschenverachtend sowie zutiefst rassistisch“, sagte Kurz.

In seinem öffentlichen Angewidert-Sein ist der Kanzler durchaus glaubwürdig, allerdings hätte er das in früheren Zeiten den ÖVP-Generalsekretär sagen lassen, um sich nicht selbst in diese Niederungen begeben zu müssen. Doch seit geraumer Zeit erledigt er das selbst. Und nicht wenige fragen sich, was dahinterstecken mag.


Die naheliegende Antwort ist die EU-Wahl Ende Mai. Denn wie man weiß, ist kontrollierte Abgrenzung vom Mitbewerber – und sei es der eigene Koalitionspartner – immer noch das beste Mittel, um die eigenen Anhänger zum Wählen zu bewegen. Hinzu kommt, dass angesichts der Identitären und sich häufender „Einzelfälle“ in der FPÖ auch vielen Türkisen unwohl geworden ist. (Als hätten sie nicht gewusst, worauf sie sich mit den Freiheitlichen einlassen.) Daher wollte der Kanzler auch intern ein Signal setzen.

Aber das allein reicht als Erklärung nicht aus. Kurz spricht vor allem deshalb gerade ein Machtwort nach dem anderen, weil die bräunlichen Eskapaden in der FPÖ beginnen, auch ihn zu beschädigen. Kaum etwas ist dem jungen Regierungschef so wichtig wie das internationale Ansehen. Und eine schlechte Reputation wegen mangelnder Abgrenzung zu zweifelhaftem Gedankengut könnte dem kolportierten Plan zuwiderlaufen, dass Kurz dereinst auch auf EU-Ebene Karriere macht.

Nicht auszuschließen ist freilich auch, dass er es im Stile Wolfgang Schüssels auf eine Neuwahl anlegt: Die FPÖ stimmenmäßig abräumen, um dann mit einer schwächeren Version von ihr erneut zu koalieren? Dass sich die Freiheitlichen, die ihr Schüssel-Trauma nach wie vor nicht überwunden haben, ein weiteres Mal darauf einlassen, ist unwahrscheinlich. Ein Bruch wie im Jahr 2002 – Stichwort Knittelfeld – droht derzeit nicht. Solange die Wahlergebnisse stimmen, hat die FPÖ-Spitze nichts zu befürchten. Eher im Gegenteil: Die jüngsten „Aufreger“ samt Kanzlerkritik daran könnten in der FPÖ-Klientel den Jetzt-erst-recht-Reflex auslösen.

Die Frage ist außerdem, welche Koalitionsalternativen Sebastian Kurz denn eigentlich hätte. Die Langzeitbeziehung mit der SPÖ hat viele ÖVP-Funktionäre ausgelaugt. Und im Moment sieht es ganz danach aus, als brauchte man noch eine Weile Abstand voneinander. Sollte eine Neuwahl der Volkspartei tatsächlich annähernd (oder sogar mehr als) 40Prozent bescheren, wäre eine Koalition mit den Neos und wiedererstarkten Grünen zumindest rechnerisch denkbar. Aber inhaltlich müsste die ÖVP ihre Migrationspolitik entschärfen. Und das kann sich Kurz, der ja gerade deswegen gewählt wurde, nicht wirklich leisten.

In gewisser Weise ist er also auf die FPÖ angewiesen. Er darf sie nicht vergrämen, wenn er weiterregieren und seine Agenda umsetzen möchte. Gleichzeitig muss er sich von ihr abgrenzen, um international und in der eigenen Anhängerschaft nicht in Misskredit zu geraten.

Klingt nach einem Dilemma. Und nach einem Risiko, das zu groß ist, um eine Neuwahl vom Zaun zu brechen. Derzeit jedenfalls.

E-Mails an:thomas.prior@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.04.2019)

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