Michael Ludwig, der gemütliche Wiener – aber reicht das auch?

Erstaunlich leise tritt der Chef von Europas größter Stadtpartei auf. Er versucht eine Gratwanderung: FPÖ-Wähler zu gewinnen, SPÖ-Wähler nicht zu verlieren.

Abhaken darf Michael Ludwig einen vermeintlich heiklen Punkt seiner To-do-Liste. Nach einer schlanken halben Stunde war am Donnerstag im Wiener Rathaus alles wieder vorbei. Blumen und Alkohol gab es für das Vorsitzendenduo zur Verabschiedung, das natürlich schon. Dann war die Untersuchungskommission zu den spektakulären Vorkommnissen beim Bau des KH Nord, das flugs zur Klinik Floridsdorf mutiert ist, Geschichte.

Gut ist es gegangen, nichts ist geschehen. So dürfen Wiens SPÖ und Bürgermeister Michael Ludwig mit Erleichterung resümieren. Und die Bürger der Stadt? Und die Steuer- und Gebührenzahler? Die dürfen demütig den Abschlussbericht der rot-grünen Koalition zur Kenntnis nehmen. Mit Staunen erfahren sie darin, dass die Politik für Verfehlungen, für eine exorbitante Überschreitung der Kosten- und Zeitpläne des Neubaus an der Brünner Straße null Verantwortung trifft. Das „Management“ wird allein dafür verantwortlich gemacht.

Das soll also das Ergebnis von 65 Zeugenbefragungen in 22 Sitzungen während der vergangenen zehn Monate gewesen sein? Ernsthaft? Weshalb gibt es dann eigentlich einen Stadtrat samt Büro für Gesundheit, wenn zuerst Sonja Wehsely und dann Sandra Frauenberger bei einem derartigen Vorhaben angeblich nichts zu melden haben? Was treibt ein Bürgermeister (damals Michael Häupl) den ganzen Tag, wenn er bei einem Megaprojekt, bei dem so viel schiefgeht, nicht dazwischengeht?

Im Uraltstil ist jene Partei, die soeben hundert Jahre Rotes Wien und sich selbst beim Landesparteitag am Samstag feiert, keinen Millimeter von der Linie abgewichen. Operativ habe die Politik nicht eingreifen können. Wenn das teuer eingekaufte „Management“ des Krankenanstaltenverbunds (KAV) Fehler (am laufenden Band) begeht, kann man beim besten Willen nichts machen. Ist halt so. Soso.

Dass aber der KAV im ausschließlichen Eigentum der Stadt Wien steht, wird vergessen. Wie, wann und wo wurden die Eigentümerinteressen vertreten? Hat sich das „Management“ vielleicht in einer Nacht-und-Nebel-Aktion selbst bestellt? Wenn es eine völlige Nichtverantwortung der Politik gibt, dann sollte diese Strategie konsequent zu ihrem Ende gebracht werden: Privatisiert (huch!) dann den KAV doch gleich! Schlimmer kann es auch nicht werden. Dann kommt der Rathaus-SPÖ zwar die Möglichkeit abhanden, Verwandte, Freunde, Genossen auf Posten hineinzuintervenieren. Zugegeben, das Risiko besteht. Es könnte bei einem provozierenden Untätig-Sein eines Eigentümers names Stadt Wien wie beim KH Nord, pardon bei der Klinik Floridsdorf, getrost eingegangen werden.

Was hat sich also durch Michael Ludwig geändert? Langzeitvorgänger Michael Häupl war der Prototyp des grantigen Wieners, gern polternd, oft mit Genuss in der Bundespolitik mitmischend – selbst wenn es (nicht selten genug) gegen die eigene Partei ging.

Nachfolger Michael Ludwig wiederum erscheint eher als die Inkarnation des gemütlichen Wieners. Bundespolitisch hat er sich bisher vergleichsweise ein Schweigegelübde auferlegt. Der Grund ist klar: Der Floridsdorfer sieht es als seine Mission, an die FPÖ verlorene frühere SPÖ-Wähler zurückzuholen. Daher seine demonstrative Zurückhaltung auch beim Sichtbarwerden von FPÖ-Ausfransungen in Richtung Rechtsextremismus. Mit antifaschistischem Gestus ist im Gemeindebau 2019 wenig zu gewinnen.

Da schon eher mit dem von ihm verordneten Alkoholverbot am Praterstern oder dem Essverbot in der U-Bahn. Beides übrigens – und das sagt viel darüber aus, welchen Stellenwert Ludwig seinem (Noch-)Regierungspartner zugesteht – ohne Wissen bzw. Zustimmung der Grünen. Am Samstag lässt er sich beim Landesparteitag zum ersten Mal wieder wählen. Auch wenn mancher Antrag rührend ein Mehr an Sozialismus fordert: Der revolutionäre Impetus der Wiener SPÖ ist in den Jahrzehnten der Macht längst nüchternem Pragmatismus gewichen. Man muss das nicht schlecht finden. Ob die Wiener, so sie zur ihnen zugeschriebenen Gemütlichkeit neigen, diese auch in der Politik wollen? Möglich – andernfalls wird es für die SPÖ so wirklich ungemütlich, auch für Pamela Rendi-Wagner.

E-Mails an: dietmar.neuwirth@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.04.2019)

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