Europa wird auf populistische Weise nicht funktionieren

Die Gefahr wird größer, dass ein künftiges Europaparlament zum europäischen Unterhaus nach britischem Vorbild verkommt.

Die EU hat diese Auseinandersetzung zwar verdient, weil sie träge geworden ist. Aber diese Auseinandersetzung könnte auch zum Antrieb wichtiger Reformen werden. Die tiefe Kluft zwischen traditionellen Mitte-Parteien auf der einen und rechts- wie linkspopulistischen Gruppen auf der anderen Seite weckt nicht nur das müde Interesse mancher Wähler, sie könnte auch notwendige inhaltliche Auseinandersetzungen stimulieren. Allerdings nur unter gewissen Voraussetzungen.

Im künftigen Europaparlament wird es keine Mehrheit für Volksparteien und Sozialdemokraten mehr geben. Ihre Koalition geht auf europäischer Ebene zu Ende. Das ist nicht unbedingt ein Schaden, denn gerade im europäischen Abgeordnetenhaus gibt es eine gewachsene Kultur parteiübergreifender Mehrheitsbeschaffung. Ob es nun die Liberalen, Grünen oder auch kleine Splitterparteien sind: Sie könnten frischen Wind in die Entscheidungsfindung einbringen.

Gleichzeitig besteht aber die Gefahr, dass dieses europäische Entscheidungsgremium – ähnlich wie bereits der Rat der EU – durch eine Zersetzung der Parteienlandschaft langsam beginnt, sich selbst zu paralysieren. Im Extremfall droht eine Situation wie im britischen Unterhaus. Statt dass die Europäische Union entstaubt würde, international an Statur gewänne, wäre auch sie nur noch ein Schauraum absurder Schattenspiele.

Manchen wäre das durchaus recht. Denn um nichts anderes geht es etwa den Parteien vom rechten Rand, die kein Interesse an einer gut funktionierenden EU haben. Sie haben in der vergangenen Legislaturperiode des Europaparlaments nicht selten gegen gemeinsame Lösungsansätze zu jenen Problemen gestimmt, die sie selbst thematisiert haben. Ob es um einheitliche Papiere für abgewiesene Asylwerber oder um den Aufbau eines gemeinsamen Grenzschutzes ging, sie votierten – wie etwa die FPÖ im April dieses Jahres zur Aufstockung von Frontex – dagegen. Sie fühlen sich als politische Schattenspieler durchaus wohl.

Europa wird nach dieser Wahl vielfältiger und bunter sein. Das ist zu begrüßen. Endlich werden erste konkrete Vorschläge für lang aufgeschobene Defizite dieser Gemeinschaft – etwa zum Schutz des Rechtsstaats, zur effizienteren gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik oder zur Steuergerechtigkeit und zum Klimaschutz – vorgelegt. Der bisherige Europawahlkampf war denn auch ein Stück sachlicher als die vorangegangenen. Aber dieser Hoffnungsschimmer droht zu verblassen, da sich die angezählten Großparteien gleichzeitig immer stärker der populistischen Methoden ihren radikalen Gegner bedienen. Dieses Zugehen auf diffuse Stimmungen in der Bevölkerung, kombiniert mit Symbolpolitik mag von ihrer Situation ablenken, ihnen vielleicht sogar vorübergehende Erfolge verschaffen. Doch sie werden dadurch an Glaubwürdigkeit einbüßen.


Die Debatte zur Überregulierung der EU ist beispielhaft für diesen Prozess. Viele Wähler teilen mit Sympathie die Forderungen nach einer Entbürokratisierung. Sie ist für Klein- und Mittelbetriebe in Europa essenziell. Aber wie ernsthaft ist es, wenn zwar die politischen Forderungen nach Streichung von EU-Regeln von Hunderten zu Tausenden hochgeschraubt werden, keiner jedoch konkrete – oder seriöse – Beispiele dafür nennen kann? Es ginge etwa darum, die EU-Datenschutzverordnung so zu entschlacken, dass sie den bürokratischen Aufwand für Ärzte, Steuerberater und andere Dienstleistungsbetriebe erträglich macht. Das ist eine konkrete, komplexe Aufgabe, die allerdings nicht so rasche Schlagzeilen verspricht.

Ähnlich ist es bei der Subsidiarität, dem beliebten Ansatz zur Rückverlagerung von EU-Kompetenzen. Auch sie wäre sinnvoll, würde sie nicht allein von ebendiesen Parteien zur Befriedigung plumper EU-Skepsis genutzt. Wo bringt sie eine Verbesserung, wo nicht? Von jenen, die sie fordern, gibt es dazu keine Vorschläge. Wenn selbst jene Parteien, die einst die EU aufgebaut haben, aus Angst vor weiterem Machtverlust solche Schattenspiele betreiben, werden sie sich langfristig marginalisieren, und leider die Europäische Union dazu.

E-Mails an:wolfgang.boehm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.05.2019)

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