Ein juristisches Cordoba – mit dem nicht nur Österreich gewinnt

Eigentlich wollte Juncker die deutsche Maut durchgehen lassen, damit wäre der Diskriminierung von EU-Bürgern Tür und Tor geöffnet worden.

Warum war dieses Urteil zur deutschen Maut eigentlich so überraschend? Wohl nur deshalb, weil es um das größte Land der EU ging, das all seine politsche Macht daran gesetzt hatte, Ausländer – und nur diese – auf seinen Straßen zur Kassa zu bitten.

So war das einst, im Wahlkampf 2013, vom damaligen CSU-Chef Horst Seehofer auch angekündigt worden. Allen juristischen Warnungen zum Trotz hat er das populistische Ziel gegen andere deutsche Bundesländer, gegen den Koalitionspartner und gegen die Warnungen der zuständigen EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc durchzusetzen versucht. Aber Sturheit allein siegt eben nicht immer. Da half nicht einmal der politische Umfaller von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der seinen Parteifreunden in Berlin entgegenkommen wollte und die Vorbehalte seiner eigenen Experten beiseite ließ. Immerhin ist Deutschland das größte EU-Land, immerhin zahlt es die meisten Beiträge in das Gemeinschaftsbudget.

Doch für die Richter des Europäischen Gerichtshofs spielen derartige Macht- und Geld-Kriterien zum Glück keine Rolle. Sie entschieden so, wie es der Europarechtler Walter Obwexer in seinen Analysen für die österreichische Bundesregierung klug vorausgesagt hatte: Eine Maut, die letztlich nur Ausländer zahlen, ist diskriminierend und deshalb mit EU-Recht unvereinbar. Daran ändert auch die trickreiche Konstruktion nichts. Deutschland hatte damit argumentiert, es würde lediglich die Straßenfinanzierung von einer Steuer zu einer direkten Abgabe ändern. In Wirklichkeit ging es darum, dass deutsche KFZ-Eigner die Maut in voller Höhe über die Kraftfahrzeugsteuer refundiert bekommen sollten, Ausländer natürlich nicht.

Massive Folgen für den EU-Binnenmarkt

Der Trick war zu offensichtlich. So offensichtlich, dass es verwunderlich ist, warum die EU-Kommission da klein beigeben wollte. Wäre er nämlich durchgegangen, hätte das massive Folgen für den EU-Binnenmarkt gehabt. Denn damit wäre Tür und Tor für die Diskriminierung von EU-Ausländern geöffnet worden. Österreich hätte umgehend Studiengebühren nur für EU-Bürger eingeführt, in dem es diese Gebühren heimischen Studenten in gleicher Höhe refundiert. Jeder Besitz von Bürgern und Unternehmen außerhalb ihres EU-Heimatlandes hätte auf diese Weise von Ländern wie Ungarn mit Sondersteuern belegt werden können. Es wäre die Einladung zu Wegelagerei und zu nationalem Protektionismus gewesen.

Es ist entlarvend, dass die EU-Kommission letztlich keine Einwände mehr gegen Deutschland erhob, aber die von der ehemaligen österreichischen Bundesregierung geplante Kürzung der Kinderbeihilfe für EU-Ausländer als diskriminierend bezeichnete. Denn eigentlich geht es in beiden Fällen um ein und das selbe Thema: Ein EU-Staat versucht, seine eigenen Bürger zu bevorzugen. Was aber bei den Wählern gut ankommt, birgt nicht nur Verzerrungen im Binnenmarkt in sich – etwa bei der Freizügigkeit –, sondern produziert vor allem eine gefährliche Stimmung des Gegeneinanders in Europa.

Der Schritt von so kleinen Diskriminierungen zu neuen Grenzbalken, zur Wiedereinführung von Zöllen, Handelsschranken und neuen Hürden für Investoren aus anderen EU-Ländern wäre kein besonders großer gewesen. Wenn den Mitgliedstaaten auf diese Weise eine nationalistisch ausgerichtete Politik erlaubt worden wäre, hätte die Europäische Union ihre wichtigste Funktion – als Basis für gemeinsamen Wohlstand und für ein friedliches Nebeneinander – nach und nach verloren.

Die EuGH-Entscheidung sollte deshalb nicht nur Erinnerungen an Cordoba wachrütteln – an den so euphorisch gefeierten Fußballsieg Davids gegen Goliath. Denn es ist diesmal nicht nur ein Sieg für Österreich, sondern ein Sieg des Rechts und der Vernunft, der ganz Europa viel erspart: Des Rechts, weil hier klargestellt ist, dass EU-Regeln für alle Mitgliedstaaten – ob groß oder klein – in gleichem Maße gelten. Und der Vernunft, weil das Urteil den Zusammenhalt der Mitgliedstaaten über politische Einzelinteressen stellt.

E-Mails an: wolfgang.boehm@diepresse.com

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