Wiens Grüne: Von den „Fundis“ zum Role-Model für Werner Kogler

Birgit Hebein.
Birgit Hebein.(c) APA/HELMUT FOHRINGER
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Die wichtigste Landespartei hat eine Chefin, die man erstmals so nennen darf und die nun Vizebürgermeisterin ist. Das Motto: Pragmatismus statt Ideologie.

Es gab eine Zeit, da flehte Maria Vassilakou Journalisten förmlich an: „Bitte nicht schreiben, dass ich Chefin der Wiener Grünen bin. Das gibt Ärger!“

Damals waren die Wiener Grünen noch nicht in der Landesregierung, Vassilakou als Klubobfrau aber ranghöchste Grüne, was bei anderen Parteien als Parteichefin bezeichnet wird. Aber (Wiens) Grüne waren anders. Dort herrschten damals nicht nur die „Basiswappler“, wie sie sich selbst nannten, sondern auch eine abgrundtiefe Abneigung gegen alles, was nur annähernd nach Autorität aussah. Und jedes Mal, wenn in einer Zeitung „Parteichefin der Wiener Grünen“ stand, bekam Vassilakou Besuch aus der empörten Basis, die sie eindringlich daran erinnerte: Es gibt keine Gleicheren unter den Gleichen – was durchaus einen Hauch der Rebellion von George Orwells „Animal Farm“ hatte. Nur ohne Heugabeln.

Mehr als zwanzig Jahr später: Birgit Hebein wird heute, Mittwoch, als Nachfolgerin von Maria Vassilakou als Stadträtin und Vizebürgermeisterin angelobt. Sie ist die Erste in der Geschichte der Wiener Grünen, die den Titel „Parteichefin“ tragen darf. Der kleine Regierungspartner hat sich also entschieden: Es gibt nun welche, die gleicher sind. Und das ist positiv. Denn die alten, rein basisdemokratischen Strukturen haben die Partei träge, kompliziert und anfällig für interne Konflikte bis hin zu Parteispaltungen gemacht.

Wäre das ausschließlich das Problem der Grünen, könnten sich die Wiener entspannt mit einem Aperol Spritz an eine Strandbar setzen. Doch die grün-internen Konflikte, befeuert durch veraltete Strukturen, blockieren seit Langem eine effiziente Regierungsarbeit in Wien.

Dieser Stillstand kostet Zeit, Geld und Geduld. Zeit, die Wien mit seinen Milliardenschulden in einer sich immer schneller drehenden Welt der Digitalisierung und Globalisierung nicht hat. Diese Probleme werden durch die stark wachsende Stadt enorm verstärkt. Hier braucht es dringend Antworten auf brennende Fragen. Statt Antworten gibt es aber Stillstand – abgesehen von vereinzelten Initiativen des Michael-Häupl-Nachfolgers, Michael Ludwig, der seit rund einem Jahr Bürgermeister ist. Denn die grüne Krise dauert schon Jahre, die politische Paralyse in Wien wird durch den Nationalratswahlkampf und den bereits angelaufenen Wahlkampf für die Wien-Wahl im nächsten Jahr nahtlos verlängert.

Dabei ist die Liste an Reformen und Projekten, die anstehen, ebenso lang wie bekannt: ein zerbröckelndes Gesundheitssystem mit langen Wartezeiten auf dringend notwendige Behandlungen, Verkehrsprobleme, die Klimaerwärmung, die Österreich den heißesten Juni der Messgeschichte beschert hat (was sich gerade im urbanen, dicht verbauten Raum noch gravierender auswirkt), massiv gestiegene Mieten etc. Daher ein Appell an die Wiener Grünen: Nach der Kür der neuen Parteichefin zur Vizebürgermeisterin bitte nicht bequem im Sitzkreis Platz nehmen und die neue Einigkeit genießen. Es gibt noch einiges zu erledigen bis zur Wien-Wahl. Man wird doch wohl noch hoffen dürfen.

Inhaltlich ging es den Grünen wie einst dem Liberalen Forum unter Heide Schmidt. Man verzettelte sich in polarisierenden Randthemen, die Wähler abschreckten. Neo-Chefin Birgit Hebein hat daraus gelernt – womit die Wiener Grünen von „Fundis“ zum Role-Model für Werner Kogler beim Neuaufbau der Bundes-Grünen wurden. Unter Hebein erfolgt eine thematische Rückbesinnung auf alte Werte. Also auf eine Zeit, in der die Grünen erfolgreich waren. Dabei wird die ökologische Frage mit der sozialen Frage verknüpft – was der Partei nun eine dringend notwendige Breite verleiht. Im Vordergrund steht das Thema Klimawandel (das für die Grünen derzeit aufgelegt ist), verknüpft mit Sozialpolitik, und weniger der Wettbewerb, wer am korrektesten gendert.

Mit der pragmatischen Mischung können Wiens Grüne nebenbei wieder jenen Wählern ein Angebot machen, die enttäuscht zu Peter Pilz abgewandert sind. Denn mit dem neuen Pragmatismus macht Hebein im Kampf um grün-affine Wähler ein Angebot, gegen das Peter Pilz nicht einmal mehr seine Piranhas helfen, die er im Aquarium züchtete.

E-Mails an: martin.stuhlpfarrer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.06.2019)

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