Es ist kein Zufall, dass die Hongkonger Polizei den Sturm auf das Parlament zuließ

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China macht das Ausland für die Hongkonger Proteste verantwortlich. Doch es kann die Verantwortung, sich an Vereinbarungen zu halten, nicht abwälzen.

Es war der vorläufige – gewaltsame – Höhepunkt der wochenlangen Proteste in der chinesischen Sonderverwaltungszone Hongkong: Mit einem metallenen Rammbock, Stöcken, Schirmen und gelben Helmen ausgestattet, stürmten Hunderte Peking-kritische Demonstranten das Parlament im Herzen der Finanzmetropole. Sie zerschlugen Fensterscheiben, demontierten die Fassade des Legislativrats, zerstörten Bilder von Politikern im Inneren des Hauses. Sie ramponierten das Gebäude, welches das Herz eines demokratischen Systems in der Millionenmetropole sein sollte.

Damit diskreditierten die radikalen Protestierenden den friedlichen Marsch, dem sich am Montag Zehntausende angeschlossen hatten: Zum 22. Mal jährte sich die Übergabe der ehemaligen britischen Kronkolonie an die Volksrepublik. Bis 2049, lautete die Vereinbarung zwischen Peking und London, sollte Hongkong unter dem Prinzip „Ein Land, zwei Systeme“ regiert werden. Doch schon vor der Halbzeit der 50-jährigen Frist bröckeln die Garantien für eine unabhängige Justiz, für Presse- und Meinungsfreiheit. Das Versprechen freier Wahlen löste die chinesische Führung erst gar nicht ein.

Unter der Amtszeit von Staats- und Parteichef Xi Jinping zog sich die Schlinge um Hongkong immer enger: Demokratieaktivisten landeten hinter Gittern, wurden von den halb freien Wahlen ausgeschlossen, eine Unabhängigkeitspartei wurde verboten, kritische Verleger womöglich auf das Festland entführt. Kritiker sehen Xi auch als treibende Kraft hinter dem Gesetzesvorhaben, das Hongkonger Behörden Auslieferungen an China erlaubt hätte – und Regierungschefin Carrie Lam als seine willfährige Vollstreckerin.

Viele Hongkonger fühlen sich verraten: Die Lokalregierung diene nicht den Bürgern, sondern dem Autokraten in der chinesischen Hauptstadt. Warum sonst wollte Lam die Rechtsstaatlichkeit, auf die so viele Bürger der Hafenstadt stolz sind, verscherbeln? Die Entschuldigungen und Versprechen der von Xi eingesetzten Statthalterin nimmt keiner der Demonstranten mehr ernst. Knapp ein Viertel der Bevölkerung war gegen das Gesetz auf die Straße gezogen, dennoch legte Lam das Vorhaben nur vorübergehend auf Eis. Mehr noch: Ihre Administration verurteilte die Proteste, an denen Pensionisten, Intellektuelle, Studenten und ganze Familien teilgenommen hatten, als „Aufruhr“. Es ist eine Formulierung, der sich auch die kommunistische Führung nur zu gern bedient – sie wird schwere strafrechtliche Folgen für die Aktivisten haben.

Und so kommen Lam und ihrem Einflüsterer Xi die turbulenten Bilder der Nacht gelegen. Peking fürchtet nichts mehr als friedliche Massenproteste, die einen Regimewechsel herbeiführen könnten. Es ist wohl kein Zufall, dass die Polizei die Demonstranten bei der Stürmung des Parlaments zunächst gewähren ließ: Die unkontrollierbare, wütende Menge gegen die hilflosen Polizisten. Demokratie und politische Freiheiten sorgen für Chaos, lautet die Botschaft. Sie ist vor allem an das Publikum auf dem Festland gerichtet.

Die Parlamentsbesetzung liefert Lams Regierung nun einen Grund, mit aller Härte gegen die Aktivisten vorzugehen – und Peking eine Gelegenheit, die Freiheiten in der Hafenstadt weiter einzuschränken. Zumal die KP-Regierung die wahren Schuldigen schon identifiziert hat: Mächte aus dem Westen. Sie hätten die Demonstrationen angestiftet, um die Volksrepublik zu schwächen.

Doch mit dieser Argumentation macht es sich Peking zu einfach. Es hat sich vertraglich dazu verpflichtet, Hongkong fünf Jahrzehnte lang einen „hohen Grad an Autonomie“ zu gewähren. Das harsche Vorgehen gegen Peking-Kritiker seit den Demokratieprotesten 2014 ist nur ein Beispiel, wie China in Hongkong Einfluss nehmen will. Die Volksrepublik kann die Verantwortung, die sie in der sogenannten Joint Declaration auf sich genommen hat, nicht auf andere abwälzen. Einmal mehr bricht China Verträge und setzt auf das Recht des Stärkeren. Wenn sie glaubwürdig bleiben wollen, müssen Lam – und Xi – auf die Forderungen der Demonstranten eingehen.

E-Mails an: marlies.eder@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.07.2019)

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