Klima retten, aber nicht auf Kosten von Freiheit und Demokratie

Klimaschutz darf nicht heißen, dass die einen verzichten und die anderen nicht.
Klimaschutz darf nicht heißen, dass die einen verzichten und die anderen nicht.APA/dpa/Julian Stratenschulte
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„Fliegen tötet“, sagen Umweltschützer und fordern hohe Preise für Flugtickets. So retten wir nicht die Welt, so treiben wir nur einen Keil in die Gesellschaft.

Die Schweden haben bereits einen Namen dafür. „Flygskam“ nennen sie es. Längst ist auch bei uns von der „Flugscham“ die Rede. „Fliegen tötet“, sagte ein Schweizer WWF-Aktivist kürzlich in einem Interview mit der „Neuen Zürcher Zeitung“. „Sind jetzt also alle Klimamörder, die dieser Tage mit ihren Familien in den Flieger steigen und einfach nur ein paar Tage Urlaub genießen möchten?“, könnte man jetzt etwas überspitzt fragen.

Es ist schon faszinierend, wie radikal sich die Tonalität in Sachen Klimawandel geändert hat. Jahrzehntelang wurde das Thema verharmlost. Bei Klimakonferenzen schlug man sich auf die Brust und stimmte das Lied von Mutter Erde an, aber in der Praxis ist wenig passiert. Auch wir in Österreich tauften das Landwirtschafts- in ein Nachhaltigkeitsministerium um, aber das Klimaschutzziel, das die EU-Länder beschlossen haben, werden wir verfehlen. Bis 2030 wollen wir die Treibhausgasemissionen um 40Prozent im Vergleich zu 1990 senken. Auf dem Weg dorthin liegt Österreich EU-weit an der erbärmlichen 19. Stelle. Das, obwohl kein einziges Land wirklich gut im Rennen ist.

Mittlerweile ist auch dem borniertesten Dinosaurier klar geworden, dass wir ein Problem haben. Konnten sich noch vor wenigen Jahren Klimawandelskeptiker– auch in dieser Zeitung – fröhlich über die grünen Untergangspropheten lustig machen, so ist mittlerweile fast allen das Lachen vergangen. Naturkatastrophen, extreme Hitzeperioden, Überschwemmungen. Einst nannte man derartige Wetterkapriolen Jahrhundertereignisse. Heute sind sie alltäglich geworden.

Ja, der Klimawandel ist eine, wenn nicht die größte Herausforderung der Menschheit. Ja, dieses Problem ist kein Problem der Politik, Industrie oder Chinesen, es ist eines, dem sich jeder stellen muss. Aber die derzeitige Debatte ist leider mindestens so gefährlich wie der Klimawandel selbst. Sie grenzt aus, sie dividiert auseinander, sie treibt einen Keil in unsere Gesellschaft. Die Klimadebatte droht zu einem elitären Machtkampf zu werden, bei dem es sich einige wenige richten. Etwa, wenn sie von Verzicht reden. Ja, es lässt sich eben leicht verzichten, wenn man im Überfluss lebt. Und der dritte oder vierte Wochenendflug nach Barcelona, London oder Paris muss ja wirklich nicht sein. Aber es gibt auch Menschen, die ein ganzes Jahr hart dafür schuften; es gibt auch Länder und Regionen, die es zu einem verhältnismäßig bescheidenen Wohlstand gebracht haben, und jetzt auch etwas von der Welt sehen wollen. Aber die wollen wir nicht, die chinesischen Bustouristen, sie sorgen nur für verstopfte Straßen und führen zu Overtourism.

Ist es nicht eine großartige Entwicklung, dass die Welt heute vielen Menschen offensteht? Was heute abschätzig als Massentourismus bezeichnet wird, sind in Wahrheit die Früchte von Freiheit und Demokratie. Es gibt wenige Erfindungen, die so viel zum Fortschritt und Wohlstand beigetragen haben wie Automobil und Flugzeug. Sie bieten völlig neue Möglichkeiten im Beruf, in der Bildung, für das ganze Leben. Es muss uns gelingen, die Klimakatastrophe zu verhindern, ohne dabei in eine soziale Katastrophe zu schlittern und Fortschritt, Freiheit oder Demokratie zu gefährden.

Fliegen trägt 2,7 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen bei. Mit unseren Smartphones und Tablets, mit denen wir stundenlang im Internet surfen und Netflix-Filme streamen, blasen wir schon jetzt doppelt so viel Treibhausgas in die Luft. 2025 wird unser digitaler Lebensstil gleich viel CO2-Emissionen verantworten wie der Pkw-Verkehr. Viele Umweltschützer wissen das längst, am Pranger stehen aber Flugzeug und Auto. Hat Klimaschutz-Ikone Greta Thunberg bei den Schülerstreiks „Fridays for Future“ ihren Fans schon gesagt, dass weniger YouTube und Instagram auch weniger CO2-Belastung bedeutet?

Klimaschutz darf nicht heißen, dass die einen verzichten und die anderen nicht, dass die einen ausgegrenzt werden und die anderen nicht. Dass die einen Freiheit und Wohlstand verlieren und die anderen nicht. Sollten wir tatsächlich auf diese Art die Welt retten wollen, na dann: Bon voyage!

E-Mails an:gerhard.hofer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.07.2019)

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