US-Präsident Trump offenbart ein autokratisches Demokratieverständnis: Wer Kritik übt, wird mundtot gemacht und als Vaterlandsverräter denunziert.
Donald Trump sollte es eigentlich besser wissen: Die Vereinigten Staaten von Amerika sind eine Nation von Einwanderern, die auf die Verheißung von Freiheit, Glück und Prosperität gegründet sind. Seine Vorfahren lassen sich ja nicht eben auf die Gründerväter, die Pilgram Fathers, zurückführen. Seine Großeltern väterlicherseits sind aus Deutschland eingewandert, seine Mutter kam aus Schottland. Ivana, seine erste Frau, stammt aus der früheren Tschechoslowakei, und Melania, seine aktuelle, aus Slowenien.
Es ist eine Genealogie, die der US-Präsident mit vielen der Immigranten aus der ersten und zweiten Generation teilt – mit Alexandria Ocasio-Cortez, Rashida Tlaib oder Ilhan Omar. Den jungen demokratischen Abgeordneten, die Missstände in der Immigrationspolitik angeprangert hatten, schleuderte er, aufgestachelt von Fox-News-Moderator Tucker Carlson, ein „Go home!“ entgegen. Dieser Ruf hatte zuvor Generationen von Einwanderern gegolten: Iren und Deutschen, Italienern und Juden, Japanern und Muslimen. Darin manifestieren sich Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und ein Stammtischpopulismus, die den Gründungsprinzipien der USA fundamental zuwiderlaufen – und die erst recht eines Präsidenten unwürdig sind.
Doch Donald Trump hat die Würde des Amts von Anfang an grob missachtet. Wer vage gehofft hatte, das Präsidentenamt würde ihn schon noch verändern, sah sich gründlich getäuscht. Trump ist, was er ist: ein Demagoge und rabiater Polemiker, ein Hetzer und Hassprediger, der mit seinen Twitter-Tiraden Gift und Galle ausspeit und das Land ohne Rücksicht auf den Zusammenhalt einer multiethnischen Nation noch weiter polarisiert. Mag er auch noch so oft das Gegenteil behaupten: Der Rassismus ist bei ihm immanent.
Als Immobilientycoon hat er zu verhindern gewusst, dass Afroamerikaner als vermeintliche „troublemaker“ Wohnungen in seinen Bauten erhalten. Später nährte er die Propaganda der Tea-Party-Fundamentalisten, wonach Barack Obama kein gebürtiger Amerikaner sei. Ob er als Präsident eingangs gleich Touristen aus muslimischen Ländern in Nahost unter einen Einreisebann zu stellen versuchte, keine Unterschiede zwischen Neonazis und Gegendemonstranten in Charlottesville zu erkennen glaubte oder Dritte-Welt-Länder als „shitholes“ bezeichnete – die Verachtung gegenüber Minderheiten und Andersdenkenden ist genuin. Trump pur und unverfälscht, so lieben ihn seine Anhänger. Das republikanische Establishment grummelt oder hüllt sich in peinliches beredtes Schweigen.
Man muss nicht mit dem „Squad“ übereinstimmen, wie sich die dezidiert linksliberale Gruppe um Ocasio-Cortez nennt, nicht mit dem blauäugig-visionären „Green Deal“ und schon gar nicht mit der Kritik an Israel und der Israel-Lobby. Sie stellt auch die Demokraten um ihre Kongressführerin Nancy Pelosi vor eine Geduldsprobe. Dass das Wesen der Demokratie im Dialog besteht und darin, Kritik zu äußern und eine Gegenmeinung zuzulassen, ohne umgehend in plumpe Gegenattacken zu verfallen, ist Pelosi in Fleisch und Blut übergegangen. Im Gegensatz zum Impuls- und Instinktpolitiker Trump, der das Demokratieverständnis eines Autokraten hegt. Kritiker macht er am liebsten mundtot oder denunziert sie als Vaterlandsverräter. Bei Ocasio-Cortez und Co. ist er jedoch an die Falschen geraten: Sie schlagen mit gleicher Waffe zurück.
Möglich, dass Pelosi mit ihrem Verdacht richtigliegt: Trumps Parole „Make America Great Again“ bedeutet womöglich nichts anderes als „Make America White Again“. Trumps Frontalangriff funktionierte auch als Ablenkungsmanöver von den groß angekündigten Razzien gegen illegale Immigranten, die sich als Schlag ins Wasser herausstellten.
Der Schlagabtausch gab zugleich einen Vorgeschmack auf einen besonders üblen Wahlkampf. Trump sollte indes wissen, dass just die Minderheiten, Latinos und Afroamerikaner, den Ausschlag über seine Wiederwahl geben könnten. Die Hardcore-Trump-Anhänger lassen sich durch Ressentiments mobilisieren, bleiben aber in der Minderheit. Es wäre nicht verwunderlich, würden die Wähler am Ende ihr Verdikt fällen: „Mister President, go home!“
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.07.2019)