Wie die Krankenkassen von mehr Wahlärzten profitieren

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WartezimmerStanislav Kogiku
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Während die Zahl der Kassenärzte sinkt, steigt jene der Wahlärzte an. Die Kassen könnten diesen Trend stoppen, tun es aber nicht. Aus gutem Grund.

Sie gehört zu den sich am hartnäckigsten haltenden Missverständnissen des Gesundheitssystems – die Annahme, nach dem Besuch eines Wahlarztes 80 Prozent des vorgestreckten Honorars von der Krankenkasse zurückzubekommen. Das stimmt ganz einfach nicht.

Für den Fall, dass jemand nicht weiß, wie genau Wahlärzte arbeiten: Das sind niedergelassene Mediziner, die keinen Vertrag mit Sozialversicherungsträgern haben – also mit Krankenkassen wie etwa der Wiener Gebietskrankenkasse. Das bedeutet, sie verrechnen ihre Leistungen direkt mit dem Patienten über ein Privathonorar, das sich nicht an einen vorgegebenen Kassentarif halten muss, sondern frei bestimmt wird.

Als Patient hat man nach einer Behandlung Anspruch auf Rückerstattung der besagten 80 Prozent – aber nicht 80 Prozent des Privathonorars, sondern 80 Prozent jenes Tarifs, den ein Arzt mit Kassenvertrag für dieselbe Leistung erhalten würde. Wahlärzte verlangen aber nicht den Tarif eines Kassenarztes, sondern zumeist um ein Vielfaches mehr. So beträgt beispielsweise der Kassentarif für ein halbstündiges Aufnahmegespräch nur zwölf Euro, ein Wahlarzt verlangt mindestens das Fünffache. Insgesamt zahlt ein Patient bei einem Wahlarzt im Schnitt rund 150 Euro pro Besuch. Davon werden ihm zwischen 20 und 40 Euro rückerstattet.

Was wiederum zur Folge hat, dass viele Patienten den bürokratischen Aufwand scheuen, die Honorarnote eines Wahlarztes bei ihrer Krankenkasse einzureichen. Genaue Zahlen werden nicht erhoben, aber geschätzt wird, dass mindestens die Hälfte aller Patienten aus Bequemlichkeit auf die Rückerstattung des Kassentarifs verzichtet. Sie kostet die Gebietskrankenkasse also keinen Cent.

Aber werden Wahlärzte nicht hauptsächlich von Privatpatienten aufgesucht, die nichts mit der Krankenkasse zu tun haben? Erstens: Nein, nur rund 30 Prozent der Wahlarztpatienten sind privat versichert. Zweitens: Auch bei ihnen gibt es ein Detail, das viele nicht kennen und das den Krankenkassen in die Karten spielt. Denn wer eine Zusatzversicherung abschließt mit der Option, Wahlärzte konsultieren zu dürfen, bekommt von seiner Privatversicherung nicht das gesamte Honorar zurück, sondern nur die Differenz zwischen dem Honorar und dem Tarif, den die Krankenkasse übernehmen würde. Um die volle Summe zu erhalten, müssen die Patienten also zweimal – bei der Privatversicherung und bei der Krankenkasse – um Rückerstattung ansuchen. Und auch hier verzichten die meisten auf ihren Anspruch bei der Krankenkasse, weil dieser Tarif nur einen Bruchteil des gesamten Honorars ausmacht.

Tatsachen, die helfen zu verstehen, warum die Krankenkassen zwar die Stärkung des niedergelassenen Bereichs fordern, aber weder die Honorare erhöhen noch die willkürlichen Leistungsdeckelungen aufheben – die beiden Hauptgründe dafür, dass die Zahl der Kassenärzte seit Jahren sinkt, jene der Wahlärzte hingegen ständig steigt. Aktuell stehen etwa in Wien 1662 Kassenärzten 3447 Wahlärzte gegenüber. Vom wachsenden Privatsektor profitieren die Krankenkassen also, weil sie weniger Geld ausgeben. Geld, das aber allzu oft in die Verwaltung fließt statt in höhere Honorare und neue Kassenstellen. Keine guten Aussichten für den niedergelassenen Bereich, der nur von den Kassen finanziert wird und somit von ihnen abhängig ist.

Vor diesem Hintergrund entlarvt sich auch die Forderung der Generaldirektorin des Wiener Krankenanstaltenverbunds (KAV), Evelyn Kölldorfer-Leitgeb, die sogar den Messerangriff auf einen Arzt im SMZ Süd dazu nutzt, um sich für mehr niedergelassene Ärzte auszusprechen, die die Spitäler entlasten und das Gewaltpotenzial senken sollten. Denn warum fordert sie nicht mehr Spitalsärzte, der Angriff fand doch in einem Spital statt? Genau, das Land, also der KAV, muss für den niedergelassenen Bereich nichts zahlen, sondern ist nur für die Finanzierung der Spitäler zuständig.

Doppeltes Spiel, wohin man sieht. Als Folge der doppelten Finanzierung, des lähmenden Klotzes am Bein des österreichischen Gesundheitssystems, der Fairness, Transparenz und vor allem Effizienz schlichtweg unmöglich macht.

E-Mails an: koeksal.baltaci@diepresse.com

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