Die Zinsen sterben – und mit ihnen das geliebte Sparbuch

Mit der Beendigung der zaghaften Zinsanhebungen durch die US-Notenbank Federal Reserve ist die letzte Hoffnung auf eine Rückkehr in die monetäre Normalität dahin.
Mit der Beendigung der zaghaften Zinsanhebungen durch die US-Notenbank Federal Reserve ist die letzte Hoffnung auf eine Rückkehr in die monetäre Normalität dahin.(c) REUTERS (Thomas Mukoya)
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Wir könnten noch jahrzehntelang Nullzinsen sehen. Ein großes Problem für ein Land, in dem das Sparbuch vergöttert, aber die Börse verteufelt wird.

„Langfristig sind wir alle tot.“ Wenn es einen Satz des Ökonomen John Maynard Keynes gibt, dem auch seine härtesten Gegner nicht widersprechen konnten, dann ist es dieser. Keynes selbst wollte mit dem Zitat keinen Freibrief für kurzfristiges ökonomisches Handeln ausstellen, sondern Ökonomen dazu anhalten, nicht nur langfristig zu denken.
Es war eine ganz, ganz andere Zeit, in der Keynes gelebt hat. Eine Zeit, in der Ökonomen der Politik vor allem Grenzen gesetzt haben. Erst mit Keynes selbst – und vor allem mit seinen Jüngern, den Keynesianern, begann die Phase der politischen Interventionen. „In the long run we're all dead.“ Heute wird dieser Satz nur noch missbraucht, für kurzfristige Tricks. Und Keynes ist längst tot.

Vielleicht war 2008 eine Chance, den Markt seine Arbeit tun zu lassen und das System zu bereinigen. Es wurde versucht. Der damalige US-Finanzminister, Hank Paulson, hat Lehman Brothers pleitegehen lassen. In Island hat man auf einer Insel den Ernstfall für die ganze Welt durchgespielt. Aber kurzfristige politische Interessen haben gesiegt, und von Bereinigung war schnell keine Rede mehr. Seitdem leben wir auf Pump, mehr noch als je zuvor.

Mit der Beendigung der zaghaften Zinsanhebungen durch die US-Notenbank Federal Reserve ist die letzte Hoffnung auf eine Rückkehr in die monetäre Normalität dahin. Da kann man lamentieren, so viel man will, es wird nichts helfen. Ist das Timing kurzfristig motiviert? Sicherlich will Donald Trump mit einem starken Aktienmarkt und einer brummenden Konjunktur in den Wahlkampf gehen. Das macht ihn praktisch unschlagbar.

Trump wird aber auch wissen, dass die langfristige Strategie längst steht. Dass spätestens mit der 2008 vergebenen Chance auf einen heilsamen Crash nichts mehr an dem Weg vorbeiführt, den wir jetzt gehen. Um es so klar wie möglich zu machen: Die Notenbanken werden in den kommenden Jahren und Jahrzehnten Dinge tun, bei denen es auch Lord Keynes und vielen seiner Fans die Sprache verschlagen würde. Sie haben längst damit begonnen. Käufe von Staatsanleihen sind Realität. Auch Unternehmensanleihen haben die Währungshüter bereits in der Bilanz. In Japan werden sogar Aktien gekauft. Das ist für den Westen der nächste logische Schritt. In Asien und Russland werden derweil fleißig die Goldreserven aufgestockt.

Das Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln (IW) hat in einer Studie analysiert, warum wir diesen Weg gehen. Es ist nicht nur der Wunsch, Banken und Staaten mit billigem Geld zu versorgen. Sie sind eher Nutznießer. Tatsächlich sinken die Zinsen ja schon seit den 1990er-Jahren, zumindest real, also inflationsbereinigt. Es wird jetzt nur besonders auffällig, weil es auf dem Sparbuch nichts mehr gibt und das Girokonto bald mit Negativzinsen belastet wird. Der Grund ist die Demografie, so das IW.

Seit Jahrzehnten steigt die Lebenserwartung in den Industrieländern. Die Menschen sparen deswegen mehr und länger, was die Zinsen drückt. Der Sparbuchsparer schafft sich die Zinsen quasi selbst ab. Dazu kommt, dass viele Unternehmen weniger in Maschinen und mehr in Daten und Lizenzen investieren, was günstiger ist. Auch einige Staaten investieren seit den 1990er-Jahren weniger. Beim IW geht man davon aus, dass der reale Zinssatz bis 2050 bei 0,0 Prozent bleiben wird. Der demografische Trend lässt sich kaum aufhalten. Um es mit Keynes zu sagen: Langfristig sind wir zwar alle tot, aber es dauert immer länger.

Ob die Federal Reserve den Zinssatz um einen Viertelprozentpunkt in eine Richtung bewegt, ist für Herrn und Frau Österreicher noch egal. Für Häuslbauer und Immobilienkäufer sind niedrige Zinsen sogar gut. Aber dass wir auch in 15 oder 20 Jahren noch nicht mit Zinsen zu rechnen haben, sollte allen Sparern zu denken geben. Sie haben Milliarden auf Sparbüchern rumliegen, die langsam, aber sicher entwertet werden. Und Politiker, die Aktien für Teufelszeug halten. Dabei ist die Börse gerade für langfristig orientierte Sparer eine wichtige Alternative. Noch schlechter als die Österreicher kann man also kaum für das, was uns da blüht, vorbereitet sein.

E-Mails an: nikolaus.jilch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.07.2019)

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