Der Silber-Faktor

(c) Clemens Fabry
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Egal ob 2008 oder 2019, manches ändert sich eben nie. Vor der Wahl machen die Parteien Geld für die  Pensionisten locker – und zwar auch jene, die Wahlzuckerln eigentlich verbieten wollten.

Erinnern Sie sich an das Anti-Wahlzuckerl-Gesetz? Anfang Juni schlug die ÖVP (erfolglos) vor, festzuschreiben, dass das Budget vor Wahlen nur bei „Gefahr in Verzug“ belastet werden darf. Denkt an 2008, so das türkise Mantra.

Damals wurde man kurz vor der Nationalratswahl sehr spendabel – u. a. wurde die Pensionsreform entschärft und eine Pensionserhöhung über der Teuerungsrate beschlossen. Und genau Letzteres soll nun wieder passieren. Und zwar mit ÖVP-Applaus. Denn kaum hatten die Seniorenvertreter am Freitag ihren Wunsch nach einer Verdoppelung der gesetzlich vorgesehenen Erhöhung bei kleineren Pensionen deponiert, kam schon das Ja von SPÖ, FPÖ und ÖVP. Dass das Budget zusätzlich mit 400 Mio. Euro belastet wird (in Summe kostet die Pensionserhöhung 1,1 Mrd.)? Nun ja. Dass die Begründung für die Erhöhung, die tolle Konjunktur, wackelt? Sei's drum. Dass nach dem Geldsegen 2008 erst recht Einsparungen folgen mussten? Reden wir nicht darüber.

Warum so gehandelt wird, ist freilich klar. Wegen des Silber-Faktors. 2,4 Millionen Pensionisten sind ein beachtliches Stimmenreservoir. Gerade für die ÖVP, die beim EU-Wahlkampf in dieser Gruppe am besten abschnitt. Erinnert sich noch jemand, dass Sebastian Kurz 2008, am Anfang seiner Karriere, in einem „Presse-Interview“ zum Thema Pensionen meinte: „Mich wundert, dass man ein System belässt, obwohl man weiß, dass es nicht leistbar ist“? Damals konnte er sich sogar vorstellen, in bestehende Spitzenpensionen einzugreifen.

Apropos: Tatsächlich ist es wohl nicht unwichtig, dass aktuell über „Kleinpensionen“ geredet wird (auch wenn das nicht stimmt, da bis zur ASVG-Höchstpension alle mehr als die zur Inflationsabgeltung vorgesehenen 1,8 Prozent bekommen sollen). Warum das „Klein-“ Bedeutung hat? Weil die ÖVP zuletzt immer wieder Botschaften im Arbeiter- und Angestelltenmilieu platzierte: Das Nein zur CO2-Steuer argumentierte man mit der Belastung der Mieter (konkret der „Bezieher von kleinen und mittleren Einkommen“) durch höhere Heizkosten. Auch der abrupte Schwenk bei der Makler-Gebühr zulasten des Auftraggebers (meist des Vermieters) ist ein Signal in die Richtung. Dabei geht es nicht nur um die Angst vor dem Soziale-Kälte-Stempel, sondern auch ums kühle Rechnen. Beim Spendensammeln mag es sich auszahlen, sich als Wirtschaftspartei zu positionieren. Beim Stimmensammeln sieht das anders aus – da heißt es eher: Heidi wer?

Apropos ein bisschen peinlich. So wirkt auch die einseitige Liebeserklärung der FPÖ, die es nun plakatgroß gibt. Während die ÖVP vom Expartner abrückt, um als Projektionsfläche für alle möglichen Koalitionen zu dienen, hat sich die FPÖ auf Türkis festgelegt. Was zunächst verwirrt – denn: Wie will man so verhandeln? –, ergibt aber doch Sinn. Die FPÖ, die eh keine andere Option hat, sorgt so zumindest dafür, dass bei Problemen oder einem Scheitern allfälliger Verhandlungen der schwarze Peter bei der ÖVP landet.

Was sagte Kurz im Jahr 2008 übrigens auf die Frage, ob eine FPÖ-ÖVP-Koalition denkbar sei: „Falls sie käme, wäre ich unglücklich.“ Mag sein, dass er sie 2019 beschließt – und trotzdem recht hat.

ulrike.weiser@ diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.08.2019)

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