Kommentar

Israels Demokratie hat sich eine Erholung von Netanjahu verdient

Benjamin Netanjahu könnte sein Amt verlieren.
Benjamin Netanjahu könnte sein Amt verlieren.REUTERS
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Benjamin „Houdini“ Netanjahu wird es nach dem Wahlpatt kaum gelingen, sich im Premiersamt zu halten. Israel täte ein reinigender Machtwechsel gut.

Als politischer Rechenkönig wird Benjamin Netanjahu nach dieser Parlamentswahl nicht in die Annalen eingehen. Der israelische Ministerpräsident hat sich diesmal gehörig verkalkuliert. Zum zweiten Mal innerhalb von lediglich fünf Monaten hatte er die Bürger in die Wahllokale rufen lassen, um sich nach seinen gescheiterten Koalitionsverhandlungen ein stärkeres Regierungsmandat zu holen. Doch die Fleißübung an den Urnen zahlte sich nicht aus für Netanjahu. Die Wahl endete neuerlich mit einem herzhaften Patt: Netanjahus regierender Likud und das blau-weiße Oppositionsbündnis kamen wieder auf ungefähr gleich viel Stimmen. Der Weg zu einer Koalition war für Netanjahu am Tag nach der Wahl mindestens ebenso verstopft wie schon im April.

Mit den religiösen Parteien allein kommt der Premier auch diesmal auf keine Mehrheit. Er brauchte Avigdor Liebermans Partei Unser Haus Israel. Doch der Ultranationalist und einstige Verbündete Netanjahus weigert sich standhaft, mit den Ultraorthodoxen ins Boot zu steigen. Lieberman will ihnen weniger Ausnahmeregelungen für den Militärdienst gewähren. An dieser Bedingung hatte sich Netanjahu schon bei den letzten Koalitionsgesprächen die Zähne ausgebissen. Lieberman gewann bei der Neuwahl dank seiner säkularen Haltung Mandate hinzu. Er wird seine Position nun nicht ändern, das hat er noch am Wahlabend bekräftigt.
Die rechte Abzweigung zur Macht scheint für Netanjahu also blockiert. Es bliebe der Marsch durch die Mitte. Auch Lieberman plädiert für eine Große Koalition, obwohl ihn Likud und Blau-Weiß dafür gar nicht brauchen. Oppositionsführer Benny Gantz wäre einer Regierung der Nationalen Einheit nicht abgeneigt. Eine solche Zusammenarbeit möchte er jedoch nur dann eingehen, wenn Netanjahu das Feld räumt. Diese Losung hat der Ex-General vor und nach der Wahl ausgegeben. Solang sich Netanjahu mit drei Korruptionsverfahren herumschlagen muss, will Gantz nicht mit ihm regieren. In den maximal 42 Tagen, die Israels Verfassung für die Bildung einer Regierung vorsieht, wird der Druck auf den Likud wachsen, ihre Führungsfigur fallen zu lassen.

Für eine Koalition links der Mitte reicht es auch nicht. Die Sozialdemokraten sind in den vergangenen Jahren so geschrumpft, dass sie gar nicht mehr über den Regierungstisch schauen können. Und die arabischen Parteien wird kein Zionist in die Koalition holen. Gantz ist nicht halb so liberal, wie sich das manche europäischen Kritiker von Netanjahu vielleicht wünschen. Am Ende wird einer aus dem tonangebenden Trio nachgeben müssen: Lieberman, Gantz oder Netanjahu. Denn eine dritte Wahl in Folge werden Israels Spitzenpolitiker ihren Wählern kaum zumuten können.

Dem „Magier“ Benjamin Netanjahu sind die Tricks ausgegangen. Sein Zauber wirkt nicht mehr, sein Nimbus ist verblasst. Netanjahu zog auch diesmal, ohne im Ansatz die Nase zu rümpfen, alle erdenklichen Wahlkampfhasen aus dem Hut, die er in die Finger bekommen konnte. Er machte abermals Stimmung gegen die Araber, er prahlte mit seinen exzellenten Beziehungen zu US-Präsident Donald Trump und Kreml-Chef Wladimir Putin, ja er scheute auch nicht davor zurück, einen offenen Völkerrechtsbruch anzukündigen: die Annexion des Jordantals. So wollte er die Nationalisten stärker an sich binden, doch am Ende erreichte er bloß, dass die empörten Araber in größeren Scharen als zuletzt zu den Urnen strömten.

Noch ist Netanjahu im Amt. Wer weiß, was ihm noch einfällt? Vielleicht bleibt er unentbehrlich, wenn eine internationale Krise ausbricht. Ein Krieg gegen den Iran erscheint in diesen Tagen wahrscheinlicher denn je. Dennoch: So schwierig wie jetzt war es für Benjamin „Houdini“ Netanjahu noch nie, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Und es wäre wohl für das Land wenig segensreich, wenn die Entfesselungsübung auch diesmal gelänge. Seit zehn Jahren regiert Netanjahu ununterbrochen, 13 Jahre hat er insgesamt an der Macht verbracht. Das reicht. Israel täte ein reinigender Machtwechsel gut. Die israelische Demokratie hat sich eine Erholung von Netanjahu verdient.

E-Mails an: christian.ultsch@diepresse.com

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