Unsere Zukunft liegt im Kosovo

Das endgültige VfGH-Erkenntnis zu Arigona Zogaj ist juridisch o.k. – und die ganze Causa ein Armutszeugnis.

Das Jahr 1994 war das letzte Jahr, in dem mehr Österreicher geboren als gestorben sind. Seither schrumpft das Volk, in den vergangenen 15 Jahren um mehr als 84.657. Genauso viele Österreicher haben in derselben Zeit das Land verlassen, um sich anderswo einen Wohnsitz zu suchen. Insgesamt sind die Österreicher also um mehr Leute geschrumpft, als Salzburg Einwohner hat. Und es wird tendenziell noch schlimmer.

Die günstigste Antwort auf das Schrumpfen, dass nämlich die Einheimischen die Freude am Kinderreichtum entdecken, ist aus heutiger Sicht eine Utopie. Die zweitbeste Lösung, kontrollierte Einwanderung und die planmäßige und überlegte Integration der Einwanderer, ist also unverzichtbar. Die schlechteste Lösung ist, einen Stacheldraht hochzuziehen, den Kopf in den Sand zu stecken und gelegentlich nach denen zu treten, die es doch irgendwie geschafft haben hereinzukommen.

Aber was heißt kontrolliert? Welche Leute wollen wir hier haben? Am besten doch solche, die sich gut anpassen, fleißig sind, hartnäckig und zielstrebig, belastbar, eine ordentliche Schulbildung absolviert haben, mit den Nachbarn gut auskommen. Jemanden wie, sagen wir einmal, Arigona Zogaj.

Geht aber nicht, denn Arigona Zogaj ist vor acht Jahren illegal eingereist. Und illegale Einwanderer, die zu Hause keine Verfolgung erwartet, muss man nach Hause schicken, denn die Schlepperbanden warten ja nur auf ein solches Signal, um uns mit „Scheinasylanten“ zu überschwemmen. Sagt man – und die FPÖ jubelt jetzt, weil das kosovarische Gfrast, das „Österreich lange genug auf der Nase herumgetanzt ist“ (H.-C.Strache), nun der, ach wie lustig, „Familienzusammenführung im Kosovo“ (Christian Ebner) zugeführt wird.

Und das ist einfach nur mehr niedrige Gesinnung. Das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs, dass die Familie Zogaj keinen Anspruch auf ein Bleiberecht hat, ist sicherlich nicht „inhuman“ (Voves) oder eine „Schande für das Land“ (Andreas Beer, SJ NÖ), denn genau die Frage, ob eine Ausweisung unmenschlich wäre, haben die Gerichte in zehn (!) Verfahren bzw. Instanzen nach gewissenhafter und durchaus nicht schandbarer Prüfung allesamt verneint: Schließlich ist der Kosovo heute friedlich genug, um einer Familie die Rückkehr zuzumuten, auch wenn ihr das sehr schwerfällt. Aber ein Grund zur Freude ist das höchstgerichtliche Erkenntnis auch wieder nicht. Es ist bloß der Schlusspunkt einer unrühmlichen Episode einer nicht eben sonderlich intelligenten Einwanderungspolitik.

All jene, die meinen, dass mit der Ausweisung Arigona Zogajs den Schlepperbanden ein rotes Signal gegeben werden muss, sollten sich einmal Folgendes ernsthaft fragen: Wenn man alle illegal eingereisten Familien, die sich ordentlich integrieren, die acht Jahre lang nicht auffallen, Arbeit finden (soweit man sie lässt), vom Gemeinderat des Wohnortes einstimmig zum Bleiben aufgefordert werden und von den Schulklassen der Kinder per Unterschriftenaktion unterstützt werden, im Lande lässt – was für ein Signal gibt man damit? Dass es hier leicht ist, eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen? Oder dass es besser ist, sich anzupassen, einzufügen und nützlich zu machen, statt unterzutauchen und von Einbrüchen zu leben? Und selbst wenn sich tatsächlich jemand, von einem Zogaj-Bleiberecht ermuntert, auf den Weg nach Österreich machte, um hier ein wertvolles, wenngleich illegal eingereistes, Mitglied der Gesellschaft zu werden, hätte ich auch nichts dagegen, ihn zum Nachbarn zu haben.


Natürlich ist die Innenministerin juridisch im Recht, wenn sie nun ein ordnungsgemäßes Verfassungsgerichtshofsurteil auch anwendet. Aber wer fürchtet, dass der Rechtsstaat an einem humanitären Akt für die Zogajs zerschellen könnte, möge kurz innehalten und daran denken, dass der Rechtsstaat an anderen Stellen durchaus Milde kennt, Härtefallregelungen eingeführt hat, Begnadigungen und Steueramnestien trotz ihrer schlechten Vorbildwirkung und ihrer evidenten Ungerechtigkeit zulässt. Das ginge auch hier.

Aber wenn natürlich eine Causa für die propagandistische Demonstration eines Prinzips herhalten muss (hier auf der einen Seite die Beweisführung des Innenministeriums, dass es die Bevölkerung gegen die Überfremdung zu schützen gewillt ist, und auf der anderen Seite die Beweisführung, wie inhuman das ÖVP-geführte Innenministerium ist), dann bleiben die Betroffenen auf der Strecke. Das sind vor allem die Zogajs, aber auch alle Österreicher, weil sie ein Recht auf vernünftige Einwanderungspolitik haben, bei der sowohl Milde als auch Strenge pragmatisch eingesetzt werden können.


michael.prueller@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.06.2010)

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