Es geht ja doch: Wien setzt Rom unter Druck

Österreichs Bischöfe beschließen einen Codex gegen sexuelle Gewalt. Wann folgt Rom, wann der Staat?

In Krisen zeigt sich üblicherweise relativ bald, wo es Leadership oder nur aufgesetztes Macher-Gehabe gibt. Nur Eremiten oder Menschen mit massiven Wahrnehmungsproblemen vermögen nicht zu sehen, dass sich die katholische Kirche Österreichs in einer Krise befindet. In einer tiefen Vertrauenskrise, die durch eine unappetitliche Welle hunderter Fälle sexueller Gewalt, meist vor Jahrzehnten begangen, ausgelöst wurde, die über Österreich schwappte. Kardinal Christoph Schönborn hat – es fällt gar nicht so schwer, das anzuerkennen – vom ersten Bekanntwerden an mehr oder weniger alles richtig gemacht.

Er hat als „Primas“ Österreichs gehandelt, den einen oder anderen zaudernden Bischof überzeugt und bei der am Mittwoch in Mariazell zu Ende gegangenen Sommertagung von seinen Mitbrüdern einen mehr als 60 Seiten umfassenden Codex beschließen lassen, der endlich (endlich!) exakt, sachgerecht und für ganz Österreich einheitlich regelt, wie beim Auftreten des kleinsten Verdachts sexueller Gewalt, begangen durch einen Kirchenmitarbeiter, zu handeln ist. Hinschauen statt Wegschauen soll nun die unausgesprochene Devise der katholischen Kirche sein.

Unausgesprochen deshalb, weil sich die Bischöfe niemals einer derart medientauglichen Ausdrucksweise bedienen würden. Warum dem so ist? Nächste Frage bitte. Dass die Reaktionen von Schönborn abwärts unter dem Druck der Leidensgeschichten Betroffener, der Kritik der Öffentlichkeit, der erneut nach oben schießenden Kirchenaustrittszahlen, der dadurch klaffenden Finanzlöcher und der Klagsdrohungen von Anwälten erfolgen, ist alles sehr wahr. Aber wenigstens wurde jetzt gehandelt. Spät, aber doch.

Ganz im Gegensatz zu anderen Institutionen dieses Landes. Wo bleibt der Opferschutzanwalt der Republik, der Länder, die ja auch die eine oder andere Einrichtung betreiben, gegen die Missbrauchsvorwürfe erhoben werden? Wo bleibt ein staatlicher Opferfonds? Wo die Entschädigung für längst verjährte und damit judiziell nicht mehr fassbare Fälle im außerkatholischen Bereich? Die Politik auf Bundes- und Landesebene stellt sich tot. Ein einziger sogenannter runder Tisch der Regierung zum Thema in Wien mit mickrigen Ergebnissen, das soll alles gewesen sein? Erbärmlich, wie der katholischen Kirche mit mehr oder weniger unverhohlener Häme zugesehen wird, wie so getan wird, als sei sexueller Missbrauch exklusiv deren Problem. Schon vergessen? In mehr als 99 Prozent der Fälle sind sexuelle Gewalttäter keine Pfarrer, Kapläne, Präfekten oder Ordensleute sondern Familienväter, Nachbarn, Onkel...

Der neu eingeschlagene Weg der katholischen Kirche setzt neue Maßstäbe in Österreich und in einem Großteil der Weltkirche. Lediglich in den USA sind die Regeln der Bischöfe noch strikter. Ganz sicher ohne es zu wollen setzt Schönborn auch einen guten Freund von ihm unter Druck, der mittlerweile Karriere gemacht hat: Benedikt XVI. Der Papst hat zwar Missbrauchsopfer getroffen, zuletzt eine lang erwartete öffentliche Vergebungsbitte formuliert und angekündigt, er werde alles tun, um Missbrauch in „seiner“ Kirche künftig zu verhindern. Wesentlich mehr war da aber dann auch nicht. Regelt der Vatikan sonst gern alles und jedes bis in die entfernteste Diözese, gar bis ins Ehebett, lässt er bei diesem Thema vergleichsweise die Zügel schleifen. Und bettelt durch ein derartiges (Nicht-)Verhalten geradezu um Kritik, der Angelegenheit eine eher geringe Bedeutung beizumessen.

Schönborns Weg der Transparenz, des Abschwörens an Vertuschung und Geheimniskrämerei, der Wahrhaftigkeit sollte jetzt innerkatholisch auch auf anderen Gebieten eingeschlagen werden. So ist kein Gebot überliefert, das es beispielsweise verbieten würde, die Entscheidung über die Ernennung von Bischöfen auf eine breitere Basis als derzeit zu stellen. Oder den Weg zu der Entscheidung wenigstens offenzulegen.

Oder wäre es nicht auch im Sinne des von Schönborn programmatisch an die Spitze des neuen Codex gestellten Bibelwortes Die Wahrheit wird euch frei machen, nicht nur die Notwendigkeit des Pflicht-Zölibats darzustellen, sondern auch das gelegentliche Scheitern an diesem Anspruch öffentlich zu machen. Zuzugeben, dass und wie viele Priester (ohne deren Namen zu nennen) wie viele Kinder gezeugt haben und wie viel die Diözesen allenfalls für deren Unterhalt zu bezahlen haben. Aber wahrscheinlich ist die Zeit für eine Beantwortung derartiger Fragen nicht reif. Wahrscheinlich ist der öffentliche Druck nicht groß genug. Noch nicht.

Der Beschluss der Bischöfe Seite 11
Wer erhält wie viel Geld? Seite 11

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.06.2010)

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